https://www.spiegel.de/sport/fussball/vfb-stuttgart-stuermer-serhou-guirassy-albtraum-seiner-gegner-a-e2dbede0-9c98-4d13-acd0-709c85d20dc4Quelle SPON <Marco Fuchs>
Verblüffende Leistungen, große Gesten, magische Momente: Der Sport produziert Heldengeschichten, Menschen, die Außergewöhnliches vollbringen. Jede Woche stellen wir einen vor. Dieses Mal: Serhou Guirassy, Mittelstürmer.
Rund um den Fußball wird seit vielen Jahren die Abwesenheit des klassischen Torjägers beklagt, des mächtigen Mittelstürmers, jemand, der die Nummer neun auf dem Trikot mit Stolz und zu Recht trägt.
Besonders laut sind die Wehklagen in Deutschland, dem Land, das diesen Typus einst in Reihe produzierte: Uwe Seeler. Gerd Müller. Rudi Völler.
Doch kaum läuft die Bundesligasaison seit ein paar Wochen, erlebt die vermeintlich in Nachwuchsleistungszentren und von Laptoptrainern wegtrainierte Neun ihre Renaissance: Serhou Guirassy ist der Name zur Zahl, ein wuchtiger Mann mit einem ausgeprägten Hang zur Torerzielung. Jede zweite Chance mündet bei ihm aktuell in einen Treffer. Eine Statistik, wie sie Gerd Müller nicht beeindruckender hätte fabrizieren können. »Ein Albtraum für den Gegner«, nennt VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth diese Quote.
Acht Tore in vier Spielen
Am vergangenen Wochenende präsentierte er sich mit drei Treffern für seinen VfB Stuttgart beim 3:1-Auswärtssieg in Mainz als Allroundstürmer: ein Tor mit rechts, eins mit links, eins mit dem Kopf. Acht sind es nach vier Spieltagen für den 27 Jahre alten guineisch-französischen Angreifer. Das gab es in 60 Jahren Bundesliga erst einmal. Der Gladbacher Peter Meyer hatte in der Spielzeit 1967/1968 gar neunmal in den ersten vier Partien getroffen. Bedeutet auch: Kein Rudi Völler, kein Gerd Müller, kein Uwe Seeler erreichte jemals diesen Wert.
Als »sehr kompletten Spieler« bezeichnet ihn sein Trainer Sebastian Hoeneß, einer, für den sein Klub im Sommer gerade einmal neun Millionen Euro Ablöse an Stade Rennes überwies. Weniger als ein Zehntel der Summe, die der große FC Bayern für Englands Nationalmannschaftskapitän Harry Kane bezahlen musste.
Ein Schnäppchen geradezu auf dem Markt der schwindelerregenden Transfers, die in dieser Saison von Europa bis nach Saudi-Arabien schwappten.
Guirassy als Hoffnungsträger für Spätstarter
Doch während Kane beim Branchenprimus auf die Vorlagen internationaler Topstars warten kann, erzielt Guirassy seine Treffer für den in der vergangenen Saison fast abgestiegenen VfB, seiner siebten unspektakulären Station einer bislang weitgehend unspektakulären Karriere.
In Amiens hat er mal gespielt, im 34.000-Einwohner-Städtchen Auxerre, beim 1. FC Köln auch in der zweiten Liga, wo Verein und Medien zwei Jahre lang seinen Vornamen konsequent falsch schrieben, bevor er aufklärte: Serhou, nicht Sehrou.
Alles keine Orte, an denen der große Fußball zu Hause ist. So macht Guirassy auch noch allen kickenden Spätstartern Hoffnung. Und der VfB ist Dank seiner Tore plötzlich nicht mehr in den Niederungen, sondern den luftigen Höhen der Tabelle platziert. Gewinnen die Stuttgarter ihre Bundesliga-Partie am Abend gegen Darmstadt (20.30 Uhr/Dazn), führen sie zumindest für eine Nacht die Tabelle an.
Eine Erweckungsgeschichte, die auch der DFB-Elf guttun würde.
