Ein Brief von rund um den Brustring an die CC:
Liebe Cannstatter Kurve,
wir sind nicht immer einer Meinung. Ich finde, dass Du nicht allenaselang “Jaaaaaaa, der VfB” anstimmen musst, nur weil den Text wirklich jeder auch mit dem Kopf voller Hofbräu noch mitsingen kann. Und wenn wieder einmal irgendein gegnerischer Spieler meint, direkt vor Dir sein Tor zu feiern, dann könntest Du ruhig mal ein wenig eskalieren. Aber es gibt auch diese magischen Momente, in denen Du genau das Richtige tust. Wenn Du einen jungen Timo Baumgartl tröstest, der gerade von Marco Reus düpiert wurde. Oder einen Nicolás González, der partout das Tor nicht trifft. Wenn Du eine Mannschaft antreibst, die zeigt, dass sie will, so wie im Abstiegskampf 2015. Oder so wie am Freitag.
Als es gegen Eintracht Frankfurt zur Halbzeit bereits 0:2 stand, der VfB in den letzten drei Spielen zehn Gegentore kassiert hatte und die Mannschaft mit einem gellenden Pfeifkonzert in die Kabine geschickt wurde. Als die Stimmung zu kippen und die zweite Halbzeit eine dröge und frustrierende Angelegenheit zu werden drohte. Du hast Dich nicht dem Spiel unten auf dem Rasen angepasst – wie Du es zugegebenermaßen manchmal tust – und Dich nicht in den freitagnächtlichen Schlaf gesungen. Du hast dich nicht von der Mannschaft runterziehen lassen, wie es Electric Light Orchestra besingen. Nein, Du hast Dich Dir selber zugewandt und den größten Teil der zweiten 45 Minuten lang die beste Stimmung seit langem gemacht.
Sicherlich kann man drüber streiten, ob es der Mannschaft hilft, wenn man ihr den Rücken zuwendet. Dann muss man sich aber auch fragen, ob es uns hilft, sich diese Scheiße anzuschauen und vergeblich zu hoffen, dass irgendwie doch ein Tor für den VfB fällt. Wir hätten die zweite Halbzeit in einer Laune verbringen können, die dem Tabellenplatz und dem Zustand des Vereins angemessen sind. Stattdessen hatten wir – ganz überraschend – Spaß und haben damit das Beste aus dieser betrüblichen Situation rausgeholt. Wir singen neuerdings dieses eine Lied über Dich. Diesmal trifft es zu: Ich war fasziniert.
Und es war nicht nur befreiend, sich nicht über jeden Fehlpass aufregen zu müssen, weil man ihn eben nicht gesehen hat. Es war vor allem auch laut. Es war Leben im Stadion, es war Energie da. Mögen Spieler und Vereinsführung ein noch so jämmerliches Bild abgeben – den Trainer nehme ich da selbstverständlich aus – der Verein tut es nicht. Denn so pathetisch das klingen mag: Der Verein sind nicht jene, die kommen und gehen, sondern jene die bleiben. Die mehr Herzblut für diesen Verein aufbringen als jene, die dafür fürstlich bezahlt werden: Die Fans.
Natürlich nicht nur die in der Cannstatter Kurve. Wenn an einem Freitagabend Anfang November das Neckarstadion fast ausverkauft ist, dann gehen jedem, der vom schwierigen Stuttgarter Umfeld schwadroniert, die Argumente aus. Ganz abgesehen davon, dass von den vier anderen Heimspielen drei ausverkauft waren und selbst an einem Mittwochabend gegen Düsseldorf nur 4.000 v0n 58.000 Plätzen frei blieben.
Um es kurz zu machen: Danke Cannstatter Kurve, für diesen Abend. Danke, dass Du allen zeigst, warum der VfB in die Bundesliga gehört.
Ich hatte das ja als skurril und krass bezeichnet.
Interessant, wie unterschiedlich Wahrnehmungen sein können.
Für eine freie und selbstbestimmte Ukraine.