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Was, wenn die Engländer in Frankfurt randalieren?
Andererseits wird zum Beispiel England in Frankfurt spielen, mit denen hat sich die Brigade Nassau schon vor Jahren der Legende nach fünf Stunden lang geschlagen. Diese Engländer werden vielleicht im Frankfurter Bahnhofsviertel herumspazieren, vielleicht mit nacktem Oberkörper mitten auf der Straße stehen, vielleicht das gegen Deutsche gerichtete Kampflied von den „Ten German Bombers“ singen.
Und dann werden sie vielleicht in den Stripclub von Christian Eckerlin in der Elbestraße gehen. Den haben sie 2006 bei ihrem letzten Besuch halb verwüstet. Eckerlin ist MMA-Profi-Kämpfer, also einer, der beruflich damit zu tun hat, Menschen in achteckigen Käfigen blutig zu schlagen. Und er ist seit vielen Jahren Mitglied der Brigade Nassau, aber wegen seiner „Vorbildfunktion“ als Sportler, wie er sagt, nicht mehr auf dem Acker dabei.
Wenn dieser Eckerlin an die baldige Ankunft der Engländer denkt und wie die sich damals aufgeführt haben, sagt er: „Wäre ich aktiv, würde ich sagen: Wir lassen uns mal blicken.“ Das sieht Goscha, der Aktive, ganz genauso. Er würde einschreiten, wenn Engländer marodieren. „Ganz klares Ja.“ Aber nicht als Anhänger der Nationalmannschaft, sondern gewissermaßen als Ortskraft. „Man verteidigt Frankfurt“, sagt Eckerlin.
„Natürlich“, bestätigt Goscha, besonders wenn sie dort „aktive Fans“ aus England treffen. „Wenn dann etwas passiert, wird es niemand erfahren. Dann ist es nach zwei Minuten vorbei“, sagt Goscha. Keine Polizei, keine Anzeige, alle würden ihrer Wege gehen.
Für Politiker wie den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, sind solche Zustände eine Provokation. „Die Hooligans versuchen, den öffentlichen Raum zu beherrschen. Doch das Gewaltmonopol des Staates gilt“, sagt er.
Momentan planen die Frankfurter nichts, sie schauen, was die Gäste machen. „Bei Länderspielen ist es immer so ein Warten. Passiert was oder passiert nichts“, erklärt Eckerlin. Zum Beispiel so was wie 1990 im Achtelfinale der Weltmeisterschaft, als der Niederländer Frank Rijkaard dem Deutschen Rudi Völler in die Haare spuckte, nachdem er für ein Foul gegen Völler die Gelbe Karte bekommen hatte.
Das war eine Frechheit, die Fans tobten. Völler sprach später von einer Stimmung „auf dem Siedepunkt“. Treffen solche Mannschaften dann im Turnier noch einmal aufeinander, knallt es zwischen den Fans.
Ostdeutsche Hooligans haben etwas vor
Überschäumende Gefühle sind aber nicht der einzige Grund für Gewalt. In Ostdeutschland gibt es viele Neonazi-Hooligans, in deren Chatgruppen der Szeneforscher Robert Claus heimlich mitliest. „Ich höre aus der Szene, dass es in Kreisen ostdeutscher Hooligans zumindest den Wunsch gibt, mal wieder einen starken deutschen Mob zu präsentieren“, sagt er. Mit „Mob“ sei eine „große, szeneübergreifende, gut organisierte und gewaltfähige Gruppe“ gemeint.
So eine Gruppe hätte politische Übereinstimmungen mit anderen Hooligans. Gewaltbereite Fans werden auch aus Ungarn, Serbien, Polen und England erwartet. Fanforscher Lange sagt: „Gerade bei serbischen Fans kann man immer davon ausgehen, dass sie auf Krawall aus sind.“
Das Spiel England gegen Serbien in Gelsenkirchen an diesem Sonntag ist zum Beispiel als Hochrisikospiel eingestuft, die Spiele Deutschland–Ungarn, Dänemark–England und Schottland– Ungarn ebenso. Die Fans aus Ungarn, Serbien und Polen gelten als besonders nationalistisch, das haben sie mit Hooligans aus Städten wie Magdeburg oder Berlin gemein.
Früher waren deutsche Neonazi-Hooligans besonders aggressiv, wenn die Nationalmannschaft gegen Länder spielte, die von der Wehrmacht überfallen wurden. Zum Beispiel am 1. September 2017, dem Jahrestag des Weltkriegsbeginns, als Deutschland gegen die Tschechische Republik spielte. Da wurde „Sieg Heil“ gebrüllt.
Das ändert sich gerade. Immer mehr Rechtsextreme in Europa schwören sich auf gemeinsame Feinde ein: nicht-weiße Migranten, Muslime und alle Fußballfunktionäre, die sich für Toleranz einsetzen. So wird es denkbar, dass sich Hooligans verschiedener Länder verbrüdern.
„Diese Europameisterschaft wird nicht unpolitisch“
Sollte ein nichtweißer Spieler der deutschen Nationalmannschaft am Tor vorbeischießen oder etwas falsch machen, würde die Hetze losgehen. Szeneforscher Claus warnt: „Diese Europameisterschaft wird nicht unpolitisch.“
Bei der Gewerkschaft der Polizei sehen sie das auch so. „Hooliganszene und Ultraszene sind in Teilen ein Nährboden für extremes, vornehmlich rechtes Gedankengut. Das macht mir schon Sorgen bei diesem Turnier“ , sagt der stellvertretende Vorsitzende Michael Mertens.
Die Fans sind außerdem vernetzter. 2006, beim sogenannten Sommermärchen, gab es noch kein iPhone, das kam erst ein Jahr später auf den Markt. Wer sich verabreden wollte, musste telefonieren. Wer sich geprügelt hatte, konnte jemandem davon erzählen, aber es gab meist keine Fotos oder Videos. Damals ließen sich ausländische Ultras noch von der Polizei durch die Stadt geleiten, weil sie sich nicht auskannten. Heute, mit Smartphones, lässt sich keiner mehr was sagen.
Einen Treffpunkt zu verändern dauert Sekunden, man tippt auf einen Punkt auf der Landkarte und teilt ihn in einer Chatgruppe. Gibt es irgendwo eine kleine Schlägerei, sind sofort Videos im Netz, und der Mob macht sich auf den Weg dorthin. Die Lage ist dynamischer geworden, und die gewaltbereiten Fans sind gefährlicher als früher, besonders die aus Osteuropa.
Die Hooligans von dort trinken weniger Alkohol und haben dafür mehr Kampfsporterfahrung. Als russische Hooligans bei der Europameisterschaft 2016 im Hafen von Marseille englische Fans angriffen, wurde das Ungleichgewicht deutlich: hier eher speckige, betrunkene Engländer, dort drahtige, nüchterne Russen. „Das stand symbolisch für die Weiterentwicklung des Hooliganismus“, sagt Szeneforscher Claus.
Für die Sicherheitslage in Deutschland war der Ausschluss der Russen vom Turnier deshalb eine gute Nachricht. Die berüchtigten ukrainischen Hooligans wird man auch nicht sehen, viele stehen als Soldaten an der Front. Goscha bekommt manchmal Fotos von ihnen geschickt, er kennt sie seit einer Schlägerei in Kiew, bei der ein Frankfurter erst von Ukrainern bewusstlos geschlagen und dann umsorgt wurde.
Zuletzt geändert von jagdhuette am 16. Juni 2024 07:03, insgesamt 1-mal geändert.


