Southern Comfort hat geschrieben:@darkred:
Diese Spiegelung der Situation (das Weißbrot im Sudan) ist ja an sich ne gute Idee. Es fehlt halt noch an einer Sache: Den Kontext kannst Du nicht mitspiegeln. Du sitzt nach dem Freundschaftsbesuch wieder im Flieger und bist ein Weißer in einer weißen Welt und es ist unmerklich supereasy. Ich glaube, man kann sich das nicht ansatzweise vorstellen, wie rassistische Diskriminierung wirkt, selbst wenn man total woke ist.
Vergleich mit der geschlechtlichen Diskriminierung... Ja *schnüff* auch mich hat man als Mann mal diskriminiert. Auf Wohnungssuche hat man mir wirklich sehr oft gesagt, dass man mich leider ablehne, weil „Mädle senn hald sauberer...“ Und wenn ich diese Story einer Frau erzählen würde, dann ist das ziemlich nah dran an: „Hey, als Weißer wird man auch diskriminiert.“ Und ich bekomme Sicherlich ein Glas Wasser ins Gesicht, damit ich in meiner total behüteten Traumwelt mal wieder aufwache.
Erlebter Rassismus ist leider nicht wie Schach, indem man alles auf fair setzt, sobald die schwarzen Figuren auch mal anfangen dürfen und gleich Tempo haben. Das hier ist ein grundlegend anderes Spiel und heißt: Ich lasse Dich jetzt mal anfangen, und nach der Partie kündigt Dich mein Schwager, weil es einen halt als ersten erwischen muss (Sorry!) und auf der Heimfahrt wirst Du völlig verdachtsunabängig von den Bullen mal wieder auf Drogen kontrolliert.
Ich habe einen guten Kumpel in Australien, der aus dem Sudan dorthin geflüchtet ist (Ja, ist Zufall...). Ich hatte mir so einen Crocodile Dundee Akubrahut als Andenken gekauft und ihm an unserem letzten gemeinsamen Abend spaßeshalber aufgesetzt. War kindlich, naiv, witzig gemeint... er nur recht trocken: „Nimm das sofort wieder runter!“ Für ihn war das so, als hätte ich ihm eine KKK-Mütze aufgesetzt, weil diese Hüte in Afrika halt ein fieses Symbol sind. Mein Kumpel hat mich dann mal, anstatt auf angry zu machen, in seine Vergangenheit mitgenommen: üble Flüchtlingsstory mit dem Fazit, dass Australien auch verdammt rassistisch ist, aber für ihn bedeutet es erstmal ne ganze Menge Abstand von Lastwagen mit toten Körpern, unter denen man sich verstecken muss, wenn man aus dem Land will.
Da bekam ich mal einen unschönen Einblick, wie das so ist mit dem Schwarz und Weiß, zumindest in Australien. Und naja, ob Europa da so viel besser ist? Während der Unterhaltung blieb mein Kumpel erstaunlicherweise komplett reflektiert, war nicht verletzt oder beleidigt und wusste genau, dass er mir gerade klarmacht, wie wenig Ahnung ich von Rassismus habe. Und das ist das, was ich daraus mitnehme:
Rassismus, egal ob bösartig, naiv, alltäglich oder „garnicht so gemeint“ ist immer (!) ein Trigger! Der weckt neben Herabsetzung oder der Schubladisierung vor allem das Gefühl: „Ah, da isses schon wieder! Kennt man ja...“ und so entsteht halt auch eine Verdichtung in der Wahrnehmung. Und allein das isoliert den Betroffenen schon wieder und damit doppelt. Deswegen komme ich so einseitig über den Empfängerhorizont. Es ist egal, was man mit einer Aussage will. Es kommt darauf an, was man damit auslöst. Und ich will dem vierten Offiziellen da keinen böswilligen Strick draus drehen. Aber es wäre gut, wenn die Debatte darüber sich nicht um die Frage dreht, ob man jetzt noch das oder das sagen dürfe. Hilfreicher wäre es, zu verstehen, warum da einigen die Hutschnur komplett reißt. Und bitte bitte nicht wieder noch mehr UEFA- Propagandaspots, die den Fußball als total tolerant präsentieren.
Ich erzähl Dir das nicht als Belehrung. Ich halte Dich überhaupt nicht für einen Rassisten, insbesondere nicht, wenn ich mich an Deine Stories hier als Jugendtrainer erinnere.
Ich erzähle das eigentlich, weil für mich dieser fundamentale Perspektivenwechsel total notwendig war, als ich auch noch dachte, dass ich aus meiner Perspektive eigentlich so herrlich polyglott und weltoffen war.
Zunächst mal danke für diese ausführliche und bemerkenswerte Einlassung.
Ich bin mir der Problematik "Rassismus" schon bewusst. In seiner ganzen Bandbreite, von unbedachtem Alltagsrassismus bis hin zum bewussten Rassedenken und der damit verbundenen, widerwärtigen Auf-/Abwertung. Ich verurteile diese auch wo es geht.
Es ist auch richtig, sich dieser Thematik in allererster Linie über den Empfängerhorizont zu nähern. Denn letztlich ist es maßgeblich was dieser fühlt und was er assoziiert, wenn er in ungebührlicher Weise angesprochen oder behandelt wird.
Dennoch, und da bleibe ich eisern dabei, darf eine Auseinandersetzung über den Kontext dadurch nicht verhindert werden, da ja ein klärender Diskurs ansonsten erst gar nicht geführt werden kann. Daher steckt in dem von cantona geposteten Auszug
Was geschieht, wenn es auf die Intention des Sprechers nicht ankommt und nur darauf, wie der Adressat das Gesagte versteht? Man zerstört die Grundlage der Kommunikation und man macht sich zugleich zum Ankläger und Richter, zum Opfer und Herrn der Sprache. Man klagt sprachliche Anerkennung ein, verweigert aber dieselbe dem Sprecher. Da jede Äußerung Gesagtes und Gemeintes, Ausdruck und Intention untrennbar umfasst, läuft die Tilgung der Intention des Sprechers auf eine Enteignung seiner Sprache hinaus.
für mich ein sehr wichtiger Punkt. Denn ist es damit getan, den vermeintlich rassistischen Ausspruch ausschließlich als weiteren Beleg der Unterdrückung und Ungleichbehandlung festzumachen, die inhaltliche, kontextuale Auseinandersetzung damit (was wollte er damit sagen, welche Haltung steht hinter dieser sprachlichen Verirrung) in der alarmistischen Kakophonie jedoch hinten runter fallen zu lassen?
Oder anders. Würde ein klärendes Statement des vierten Offiziellen, in dem er beteuert keinesfalls rassistisches Gedankengut zu pflegen und diese Beschreibung sehr unglücklich gewählt gewesen sei, diese medial stark aufgebauschte Diskussion beeinflussen? Würde eine Entschuldigung etwas ändern? Eine Erklärung, dass es ihm nur um die mgl. schnelle Identifizierung des hinauszustellenden Co-Trainers ging.
Ganz ehrlich, ich denke nein, bzw. recht wenig.
Und das ist mein Punkt, der mir in der jüngeren Gesellschaftsentwicklung große Sorgen bereitet. Diese zeitgeistige Lust an schnellem Sensationsjournalismus. Instant-Aufregen on demand. An jeder Ecke und nur ein Klick weit entfernt. Niemand scheint mehr ein Interesse daran zu hegen, einen Sachverhalt einer Mindesttiefe nach zu durchsteigen oder sich aus versch, Quellen ein Bild zu machen, bevor er/sie sich eine Meinung dazu erlaubt. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird zu oft das Urteil vor der Meinungsbildung gefällt. Meinungsstark ohne Hintergrundwissen - durch verkürzte, geframte, tendenzielle Berichterstattung. Sieht man doch auch am aktuellen Fall. Ein Medium spricht von "angeblicher rassistischer Beleidigung" (Sportbuzzer), ein anderes von "Rassismus-Eklat" (
LOKUSFOCUS) Dazwischen liegen Welten! Ich tue mich verdammt schwer damit, ohne dass der Delinquent sich dazu erklärt hat, von einer bewusst rassistisch motivierten Handlung auszugehen. Für mich geht das in der Berichterstattung von reißerisch bis unseriös!
Die damit einhergehende Konditionierung der Rezipienten in der breiten Masse ist extrem bedenklich und ein schleichender Killer gesellschaftlichen Diskurses. Im Sinne von "sich im klärenden Gespräch aufeinander zubewegen". Was wir momentan vor allem sehen, ist die Potenzierung von weitestgehend ins Leere laufender Entrüstung. Man spricht lieber übereinander anstatt miteinander.
Das soll nun bitte nicht als Ablenkung vom Thema verstanden werden, Rassismus ist Scheiße, aber in diesem Fall hängt es für mich aber untrennbar mit dem Geschilderten zusammen.