So als Abschluss der vergangenen Transferperiode hier noch ein Artikel von Kneer (wem sonst?) aus der SZ über nicht ganz neue Entwicklungen auf dem Transfermarkt, die auch beim VfB zu beobachten sind:
Die Bundesliga jagt den nächsten Sancho
Die Winterpause beweist: Der Transfermarkt verwandelt sich immer mehr in einen Spekulationshandel.
Da etablierte Fußballspieler zu teuer geworden sind, versuchen sich die Vereine an kreativer Notwehr.
Der Fokus richtet sich dabei immer mehr auf unbekannte Talente, bei denen das finanzielle Risiko kalkulierbar ist.
Manchmal gibt es solche schönen Namen noch: Shinji Kagawa zum Beispiel. Den kennt man, den hat man schon mal spielen sehen, man hat sogar noch ein paar Pässe und Dribblings im Kopf. Unter "Kagawa" kann man sich was vorstellen.
Es hat fast etwas Erholsames, wenn in den Gerüchtespalten des letzten Transfertages ein Name wie "Kagawa" fällt. Man fühlt sich dann wieder zu Hause in dieser Sportart und man kann sich auch wieder einbilden, dass man das selber auch könnte: Fußball-Manager sein. Dass man in Hannover auf die Idee kommt, erst einen Frankfurter Banksitzer namens Nicolai Müller und dann einen Dortmunder Tribünenhocker namens Kagawa zu holen: Das leuchtet ein. Und dass Hannovers Fans am letzten Transfertag die einschlägigen Ticker stündlich nach der Kagawa-Nachricht scannen und enttäuscht sind, wenn der Spieler doch nicht kommt: auch klar.
Wie aber gehen Anhänger des FC Augsburg mit dem Gerücht um, dass ihr Klub sich für Eddie Nketiah, 19, vom FC Arsenal interessiert? Was fühlt ein Leipzig-Sympathisant angesichts des Talents Schmidt-Dingsbums? RB habe Emile Smith Rowe, 18, ausgeliehen, wurde fristgerecht gemeldet, ebenfalls vom FC Arsenal.
Die Unaussprechlichen sind die neuen Nicolaimüllers. Wie sehr sich der Transfermarkt auch in Deutschland wandelt, lässt sich mustergültig an der gerade abgelaufenen Winter-Transferperiode ablesen, die sonst ja eher keine Trends abwirft. Auf dem Wintermarkt treffen sich für gewöhnlich nur die Mühseligen und Beladenen, um ihre Sünden vom Sommer wiedergutzumachen. Sie holen dann Nicolai Müller, weil es an Mentalität und Torgefahr fehlt. Wer nun aber die Liste der aktuellen Januartransfers studiert, kommt zu dem Schluss, dass der Wintermarkt seinen Charakter verändert. Es wird nicht mehr nur reagiert. Es wird jetzt auch agiert.
Dortmund holt den argentinischen Verteidiger Leo Balerdi und zahlt 16 Millionen Euro für einen 20-Jährigen. Die Bayern geben zehn Millionen für den 18 Jahre alten Alphonso Davies aus. RB Leipzig kauft den Blutsverwandten in Salzburg und New York für 19 Millionen Amadou Haidara, 21, und Tyler Adams, 19, ab. Frankfurt findet in Brasilien einen 19-jährigen Verteidiger namens Tuta, Hoffenheim ebendort einen 20-Jährigen namens Lucas Ribeiro. Schalke investiert neun Millionen in den 18-jährigen Rabbi Matondo vom Pep-Klub Manchester City, und sogar der VfB Stuttgart traut sich mitten im Abstiegskampf an einen teuren Perspektivtransfer (Ozan Kabak von Galatasaray Istanbul, 18 Jahre, elf Millionen).
Die Bundesliga jagt den Sancho: Mit dieser Zeile im Kopf gehen die Scouts inzwischen auf Reisen. Im Grunde wollen alle dasselbe: In England ein verkanntes oder zumindest überzähliges Talent wie diesen kolossalen Jadon Sancho, 18, entdecken, der den BVB mal sieben Millionen kostete und jetzt zehnmal so viel wert sein dürfte.
Der alte Transfermarkt ist durchgeknallt, also spekulieren die Klubs inzwischen in einem neuen: Sie versuchen jetzt quasi mit Aktien zu handeln, die noch keiner kennt. Sie kaufen nicht das, was ist, sondern das, was einmal sein könnte - ein Akt kreativer Notwehr, weil etablierte Spieler auf dem irren Markt kaum mehr zu bezahlen sind und bei einem Weiterverkauf oft auch keine Rendite mehr versprechen. Die Geschäfte mit den jungen blue chips sind dagegen einigermaßen kalkulierbar, auch wenn ein try-and-error-Faktor in jedes Geschäft eingepreist ist. Manchmal verschwinden teure und laut angepriesene Toptalente wie Dortmunds Isak oder die ehemaligen Leipziger Nukan und Burke auch wieder kleinlaut durch die Hintertür, dennoch hält sich das Investment-Risiko für die Klubs in Grenzen.
Es ist ein Geschäft mit der Hoffnung, das inzwischen sogar der stolze FC Bayern mitmacht. Beim Kanadier Davies waren die Münchner schnell und gut, beim Engländer Callum Hudson-Odoi, 18, eher weniger: Da haben sie ihr Interesse so offensiv hinausposaunt, bis der Preis bei über 40 Millionen lag - und am Ende haben die knallharten Geschäftsleute beim FC Chelsea dann beschlossen, dass sie einen Spieler, der anscheinend so gut ist, doch lieber selber behalten.
https://www.sueddeutsche.de/sport/trans ... -1.4313336Meiner Meinung nach muss man aber auch hinzufügen, dass sich nicht jeder Club diese Perspektivtransfers leisten kann und/oder jedenfalls nicht beliebig oft. Die Clubs mit dem prall gefüllten CL-Portemonnaie jedoch schon. Beim einen Club macht es also schon einen Unterschied, wie viele dieser Spieler floppen, beim anderen eher nicht.
Wenn die Unfähigkeit einen Decknamen braucht, nennt sie sich Pech.
- Charles Maurice de Talleyrand -