Christian Riethmüller auf Facebook.
Die Aussage von Sven Mislintat, dass die Erwartungen an die VfB-Spieler in dieser Saison zu hoch waren, und Grenzen überschritten worden sind, überrascht mich. Gerade die Corona-Krise zeigt deutlich, welche Bereiche im Leben, im Sport, in Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Boden geblieben sind, und wer (seit Jahren) abgehoben in einer fremden Wirklichkeit lebt. Und leider gehört der Profifussball zu letzterem.
Für mich war es ein Schlag ins Gesicht jedes Otto Normalverdieners, der mit 2.500.- Euro brutto heimgeht, in diesem Jahr Angst um seinen Job hat, in Kurzarbeit steht, auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichten muss, und dann aufgefordert wird ( bei Schalke 04 sogar noch eine Stufe extremer mit Härtefallbegründung), auf die Rückerstattung von Tickets zu verzichten, damit der neuen Spielergeneration die horrenden Gehälter in wenigen Monaten nur um 20-30% gekürzt werden müssen, und nicht mehr. Und die dann, trotz mehr als durchwachsener Leistung, einen Teil davon für den Aufstieg zurückerstattet bekommen. Haben wir Fans, die auf die Rückerstattung verzichtet haben, auch einen Teil davon wegen dem Aufstieg zurückbekommen?
Und jetzt nimmt man diese Spieler in Schutz und beklagt sich, dass Menschen, die Hunderttausende und Millionen Euro verdienen, zu hohen Erwartungen ausgesetzt sind?
Ein junger Spieler heuert einen Berater an, damit dieser für ihn das Gehalt maximiert. Dieser Berater verdient dazu ein Schweinegeld, ohne dass er einen Mehrwert schafft (der VfB hatte im Jahr 2019 fast 13 Mio. Euro!!!!! für Berater ausgegeben, das impliziert, dass die Spieler, die wir geholt haben, extrem von Beratern ihre Gehälter in die Höhe haben treiben lassen - HSV und Hannover waren in Liga 2 auf den Plätzen 2 und 3 bei den Beratergeldern, mit 3,3 bzw. 3 Mio. Euro, Heidenheim hatte 1,4 Mio, Sandhausen 0,7 Mio. Euro - wenn man das sieht war der VfB nicht besonders gut beraten, aber offenbar die Spieler.
Von daher lasten sich die Spieler, indem sie diese hohen Gehälter fordern, und dann auch noch bekommen, doch selber den Druck auf, oder denke ich falsch?
Betrachten wir es doch mal aus der anderen, der "down to earth"-Perspektive: Jede Reinigungskraft, jeder Kassierer im Discount-Bereich, jeder Arzt, jeder Bandarbeiter, jeder Unternehmer, jeder Banker, jeder Lehrer, also wir alle, haben einen hohen Druck, die Arbeit, für die wir bezahlt werden, richtig zu machen. Ein Fehler in der Operation beim Arzt, und er wird verklagt - trotzdem liefern die meisten Ärzte kontinuierlich Bestleistung ab. Schlechte Qualität am Band, und man kann sich , wenn man Pech hat , einen neuen Job suchen. Hoher Druck, trotzdem schaffen es diese Menschen, gute Qualität zu liefern. Meine Mitarbeiter in meinen Läden müssen seit Wochen trotz 8 Stunden Maske im Laden zu jedem Kunden freundlich sein. Auch das ist ein Druck, dem diese gut standhalten. Und jetzt soll bei Fußball-Millionären eine Grenze überschritten worden sein, weil die Erwartungen an einen der teuersten Kader von Liga 2 mit dem sofortigen Wiederaufstieg zu hoch gewesen sind? Zumindest wir Fans hatten gar keine allzu hohen Erwartungen, bis auf die, dass man vielleicht gegen den einen oder anderen Aufsteiger in Liga 2 auch mal ein Pünktchen holt, die Spieler im Derby fighten und man Mannschaften, deren Etat weniger als die Hälfte von unserem ist, hinter sich lässt..... Ich finde das nicht übertrieben, sondern realistisch.
Ich freue mich sehr über den Aufstieg, weil für mich wie für viele Fans der VfB eine Herzensangelegenheit ist. Weil wir den VfB und diese tolle Tradition lieben. Über die letzen Jahre schütteln immer mehr nur noch den Kopf. Leider eben auch wegen solchen Aussagen. Wäre es nicht auch mal überlegenswert, die Spieler in die Verantwortung zu nehmen, und nicht ein Alibi nach dem anderen zu suchen? Und gleichzeitig intern auch mal nach den seit Jahren vorherrschenden Ursachen zu suchen, anstatt immer so zu tun, alles sei in bester Ordnung, und alleine das Umfeld und die Medien sind mit ihren hohen Erwartungen schuld am seit über 10 Jahre andauernden Niedergang des VfB. Ich würde mich freuen, wenn man da mal drüber nachdenkt, und sich der VfB in Zukunft wieder so präsentiert, wie die meisten Fans sind: Auf dem Boden geblieben, bereit zum Verzicht, selbstkritisch, immer alles geben. Dann bekommen wir auch wieder eine Einheit nicht nur zwischen Fans und Verein, sondern auch zwischen Fans, Spielern und Verantwortlichen hin. Wäre das nicht ein schönes Ziel?
So, das lag mir auf dem Herzen. Trotz dieser Kritik drücke ich natürlich die Daumen, dass Sven Mislintat uns einen guten Kader für Liga 1 zusammenstellt, der die Erwartungen dann auch erfüllt....und den man daran auch kritisch messen darf. So wie alle anderen Verantwortlichen auch. Denn warum sollten für Spieler und Verantwortliche beim VfB andere Regeln gelten als für Otto Normalverbraucher?