Zu Besuch bei RB Leipzig
Falsche Freunde
Wie fühlt es sich eigentlich an, so ein Heimspiel von RasenBallsport? Unser Autor hat den Selbstversuch gewagt.
In der deutschen Fußballliteratur gibt es neuerdings das Subgenre des Reiseberichts nach Leipzig, wo sich bekanntermaßen Ungeheuerliches zuträgt. Die Erzählungen, wie es beim Bundesligaaufsteiger namens Rasenballsport zugeht, folgen dabei im wesentlichen zwei Richtungen.
Die eine erzählt, wie irre und bizarr es dort im finsteren Marketinghausen zugeht. Totale Exotik des Marketingexzesses, als wäre man in der Leipziger Arena mitten im Kongo gelandet: »Mr. Mateschitz, I presume.« Oder es wird genau gegenteilig berichtet, dass es in Leipzig doch wie beim Fußball zugehe, was dann gleich als Beleg herhalten soll, dass das Ungeheuerliche eines Bundesligaklubs, der zur Bewerbung eines Produktes gegründet wurde, soooo ungeheuerlich eigentlich gar nicht ist.
Es fühlt sich an, als wäre man bei einer anderen Sportart
Und wie ist es nun? Erst einmal fühlt es sich wirklich an, als wäre man im Ausland beim Fußball – oder bei einer anderen Sportart. Eishockey etwa. Viele Zuschauer wirken eher so, wie man sie aus deutschen Eishallen kennt. Womit nicht nur die von Red Bull München gemeint ist. Kleinbürgerlich, Typ ein bisschen gemütlich. Die Frauen kommen auch gerne mit, Haare etwas zu rot oder etwas zu blond gefärbt, auffällige Brillengestelle. Ansonsten sind Fans hier keine Fans mehr, sondern was Neues: Sie sind Freunde. »Freund« steht hinten jedenfalls auf den Jacken, die man im Fanshop kaufen kann.
Der Stadionsprecher ist kein Freund, er trägt Schlips und Jackett. Vor dem Spiel lässt er nicht zu laut Mainstream-Rock und R&B von der Stange laufen, wie man das von schlechten Lokalradios und vielen Stadien kennt. Eine Viertelstunde vor Anpfiff noch Bilder von der Pressekonferenz mit Trainer Ralph Hasenhüttl. Ein bisschen ist die Hinführung zum Spiel wie bei Fernsehübertragungen. Gesungen wird bis zum Anpfiff nicht. Auch in die knödelige Vereinshymne stimmen nicht alle mit ein, die Schlangen an den Futterständen sind zu lang. Vielleicht liegt es daran, dass mit echtem Geld bezahlt wird. Geduldig stehen die Menschen in den Fettschwaden der Fritteusen und rauchen.
Spielweise: markenkompatibel
Dann kommen »die besten Fußballspieler der schönsten Stadt der Welt, die Roten Bullen«, wie der Mann in Schlips und Kragen plötzlich schreit. Dramatischer Musikakzent wie beim Musical. Das Spiel geht los, und schon nach ca. zehn sieben Sekunden ist klar, wie heute gespielt wird: markenkompatibel. Man muss sich vor dem Genie der Macher des Klubs verneigen. Ihre jungen Spieler rennen und bolzen von der ersten bis fast zur letzten Sekunde, als hätten sie eine Überdosis Taurin intus. Hetzen den Gegner, pressen, bekommen den Ball, dreschen ihn nach vorne, Kopfballduell, zweiter Ball. Schon das Zugucken macht einen so tatterig, als hätte man zu viel des Erfrischungsgetränks mit Gummibärchengeschmack getrunken.
In der 16. Minute halten hunderte einheimischer Freunde die Nummer 16 für den Außenverteidiger Lukas Klostermann hoch, der sich das Kreuzband gerissen hatte. Drei Minuten später sind die Gladbacher Fans dran, die bislang geschwiegen haben, 19:00 Minuten lang, entsprechend dem Jahr der Vereinsgründung. Protest! Dann rollen sie ein riesiges Transparent mit der Aufschrift »Traditionsverein seit 1900« aus und beginnen zu singen. Nur so richtig zu hören sind sie nicht. Minutenlang singt das Reststadion gegen sie an: »Auf geht´s Leipziger Jungs, schießt ein Tor für uns.«
Sächsische Rebellion als Gegenwehr der Gladbacher Demonstration. Überhaupt gibt es in Leipzig eine »Leckt uns doch mit Eurem Traditionsverein-Gequatsche«, der Trotz ist unübersehbar. Etwa auch gegenüber dem alles dominierenden Sponsor? Aus der Kurve wird konsequent »Rasenballsport« angefeuert, den Schwindelnamen des Vereins, den man brauchte, um eine Abkürzung zu haben, die dem zu bewerbenden Produktnamen entspricht.
Den Rennmäusen geht langsam der Taurin aus
Unten wird weiter ein Fußball gebolzt, der viel Kraft und Kampf und Willen beinhaltet, und bei sensiblen Gemütern für Kopfschmerzen sorgt. Man kann das aber auch für Vollgasfußball ohne Drehzahlbegrenzung halten und gut finden. RB Leipzig führt inzwischen mit 1:0, der Gast aus Mönchengladbach quält sich. Später wird ihr Trainer André Schubert sagen, dass es ein Ziel von Leipzigs Spielweise sei, den Gegner in Panik zu versetzen. Die überfällt irgendwann auch den Zuschauer.
Aber nicht die Freunde. Irgendwann hüpft das ganze Stadion, und der obere Teil der Tribüne schwingt, aber dann gibt es doch keine einstürzenden Neubauten. Den Rennmäusen geht langsam der Taurin aus, und schon gerät ihr Spiel ins Schwanken. Gladbach gleicht noch aus. Das Spiel des vierten Spieltags der Bundesliga endet 1:1.
Es wird gespielt, um ein Produkt zu verkaufen
Es war Fußball, mit zwei Mannschaften in einem Stadion voller Zuschauer, die nun applaudieren. Es war nicht der Kongo und keine überdrehte Marketingshow, weil die Leute von der Dose schließlich nicht blöd sind. Sie simulieren richtigen Fußball für ihre Zwecke, statt eine Verkaufsshow draus zu machen. Beim Fußball geht es überall ums Geld, ums Geschäft, ums Marketing und den ganzen unromantischen Kram, bei jedem noch so traditionsreichen Traditionsklub. Doch nur in Leipzig wird aus den völlig falschen Gründen gespielt: Um ein Produkt zu verkaufen. Und deshalb ist es ein falscher Freund, der in die Bundesliga gekommen ist.