Frank N Furter hat geschrieben:lester hat geschrieben:Also was möchtest du jetzt?
Das habe ich doch relativ klar gesagt. Gut ich versuchs nochmal in Kurzform:
1. Ungestörte JS-Gesellschaften gibts ja heute nicht mehr. Auch nicht die von Dir genannten Sentinelesen. Das war im übrigen auch schon um 1900 so. Es gibt dazu wirklich eine Menge Literatur. In der Forschung hat sich eingebürgert, aus dieser Art von Feldforschung keine Primärinformationen abzuleiten. Also jedenfalls nicht für die präneolithischen JS-Kulturen! Es ist wichtig das zu verstehen.
Kommt halt darauf an was du als "ungestört" bezeichnest. Ich glaube der offizielle Begriff ist "unkontaktiert", was auf die Setinelsen zum Beispiel auch gar nicht zutrifft. Zum Beispiel liegt der Verdacht nah dass sie deshalb so besonders gastfreundlich sind, weil der letzte Kontakt mit Außenstehenden eher... unschön... endete. Man will sich halt keine neue Seuche einfangen.
Dann gibt es noch Stämme zum Beispiel im Regenwald die keinen bzw. nur sehr geringen Kontakt hatten. Auch geht man davon aus, dass noch diverse, unentdeckte Stämme dort leben. In gewisser Weise wird die Ausbreitung der Zivlisation natürlich auch Auswirkungen auf sie haben, allerdings im inneren des Regenwaldes eher gering. Ich kenne auch die ganzen Horrorgeschichten von früher aka "jede Stunde wird Regenwald in Größe eines Fussballfeldes abgeholzt". Dabei hat man natürlich verschwiegen wie riesig der Regenwald ist. Zu Zeiten der größten Abholzung sind durchschnittilch 30.000 Quadratkilometer verloren gegangen. Hätte man das so weiter gemacht (was man zum Glück nicht getan hat), hätte es ungefähr bis ins Jahr 2150 gedauert bis er komplett weg gewesen wäre. Natürlich sind die Auswirkungen schon früher erkennbar, jedoch gibt es da halt ein riesiges Gebiet wo noch kein zivilisierter Mensch je war. Die Stämme dort werden wohl also quasi gar nicht von der Zivilisation beeinflusst.
Aber selbst wenn man sie vollkommen unbemerkt genau beobachten könnte, würden sie natürlich aufgrund des Status "isoliert" nicht viel über die Interaktion von Naturvölkern aussagen. Deshalb habe ich die Aboriginies genannt, die hatten zwar wohl auch schon vor den Europäern Kontakt mit "zivilisierten" Völkern die der Seefahrt mächtig waren, aber eben nur eingeschränkt.
Daher sind sie das beste Anschauungsmaterial für eine große Fläche die von einer J/S Gesellschaft bewohnt sind.
Frank N Furter hat geschrieben:2. Wichtiger sind die archäologischen und paläogenetischen Befunde. Mal ein Beispiel, damit das nicht so abstrakt ist. Man kann heute maternale Linien über die Mitochondrien und paternale Linien über das Y-Chromosom molekularbiologisch viel besser auswerten (früher - bis in die 90iger - hat man da noch viele Fehler gemacht, zu vergleichen vielleicht mit den Fehlern bei der Kohlenstoffdatierung). Und so weiß man z.B., dass JS-Kulturen weltweit (!) regional sehr stark miteinander verwandt sind. Fast überall wurden die jungen Frauen weggeschickt (also nicht nur die "überzähligen") und die Jungs wurden in der Gruppe behalten. Das sind harte, genetisch eindeutig validierte Fakten! Dies nimmt man als einen (!) unter sehr vielen Hinweisen, das präneolithische JS-Kulturen, wenn sie nomadisch aufeinander trafen, sich ausgetauscht und nicht abgeschlachtet haben. Also nicht nur, weil das im Überlebenskampf gar keinen Sinn ergeben hätte, sondern weil sie z.T. hätten ihre eigenen Kinder abschlachten müssen. Und das ist jetzt nur ein Mikrobeispiel, wo uns die Erforschung des präneolithischen "Orginalzustands" einen kleinen, aber faktisch eindeutigen Hinweis gibt. Der Hinweis an sich, würde aber auch noch wenig aussagen. Er muss dann schon zu vielen anderen Hinweisen passen und auch eine gewisse Prädominanz gegenüber anderen allelen Befunden aufweisen.
Ich hoffe, ich konnte das jetzt klarer darstellen.

Ich verstehe durchaus den Ansatz, mir stoßen da nur zwei Dinge sauer auf. Die Verwandschaft der Menschheit ist ja zweifelsfrei nachgewiesen und lässt sich sogar bis auf eine "Urmutter" zurück führen. Das von dir gezeichnete Bild lässt sich aber nicht so ganz erschließen, nämlich das wegschicken. Wie kommst du darauf?
Einfaches Beispiel, nimm eine politische Landkarte von 39-41 meinetwegen und zeige sie jemanden der zwar eine Landkarte lesen kann, aber sonst noch nie etwas von der Zeit oder von moderner Politik usw. gehört hat. Dieser könnten nun natürlich folgerichtig interpretieren, dass damals Deutschland seine Nachbarn erobert hat. Er könnte es aber auch so deuten, dass sich damals Europa friedlich unter der deutschen Fahne vereint hat. Andersdrum geht es natürlich auch, er wüsste nicht ob 1990 die BRD in der DDR einmarschiert ist oder ob man sich friedlich vereint hat.
Es ist soweit bekannt, dass der frühe Mensch schon damals aus irgendeinem Grund erkannt hat das Inzucht nicht gerade förderlich für das überleben des eigenen Stammes ist. Nun gibt es verschiedene Varianten wie dieser "Frauentausch" vonstatten hätte gehen können. Einerseits natürlich das wegschicken zu einem anderen Stamm (wobei es doch eher unwahrscheinlich ist, dass man die Frauen einfach grob in eine Richtung geschickt hat und sie haben dann einen anderen Stamm gefunden der sie bereitwillig aufgenommen hat. Denn da wären auch sicherlich viele Frauen nicht angekommen), oder durch Tauschhandel, dann wären die Frauen Ware gewesen oder eben auch durch Frauenraub.
Lange Rede, kurzer Sinn. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Kontakte der frühen J/S relativ friedlich waren sagt dies immer noch nichts über ihre stammesinternen Gepflogenheiten aus.
Du erwähntest drastisch gestiegene Kindersterblichkeit, wie kommst du darauf? Eher das Gegenteil ist wahrscheinlich, nämlich das die Kindersterblichkeit mit der Sesshaftigkeit zurück gegangen ist. Wieder ein Blick auf die Aborigines, zur Ankunft der Europäer gab es 300.000- 1 Million. Selbst wenn man den höchsten Wert annimmt, nämlich die Million so gab es in Europa ca. das zwanzigfache mehr und so viel größer ist Europa auch nicht.
Da auch die Ausbreitung des Menschen über den ganzen Globus in der heutigen Dichte erst mit der Landwirtschaft begann ist die Frage wie dies zustande kommt? Dann hätte die Weltbevölkerung ja eher schrumpfen müssen wenn die Kindersterblichkeit nach oben gegangen ist nach der Sesshaftwerdung. Ich glaube nicht dass Kondome bei den Jägern und Sammlern so weit verbreitet waren. Da lässt es eben doch eher den Schluss zu, dass man "überzählige" Kinder direkt getötet hat.
Ich hatte es ja auch schon am Anfang erwähnt, man mag darüber streiten ob unsere Leistungsgesellschaft die wir heute haben wirklich ideal ist oder ob wir nicht als Jäger/Sammler glücklicher wären. Was aber fest steht ist, dass keiner von uns als J/S darüber diskutieren würde ob wir als sesshaftes Volk nicht glücklicher wären. Nicht mal weil wir vielleicht unter sesshaft keinen Begriff hätten oder weil es natürlich auch kein Internet geben würde und der Berliner und der Schwabe gar nicht miteinander reden könnten. Sondern weil der Altersdurchschnitt in diesem Forum doch weit jenseit der Zwanzig liegen dürfte. Und diese Lebenserwartung hättest du als J/S einfach nicht. Außerdem dürfte sich die Zahl der Menschen maximal im Millionenbereich bewegen.
Immerhin, auch das darf man nicht verschweigen wenn man auf die Aboriginies schaut, ist es zumindest wahrscheinlich dass die Spezies Homo Sapiens sich auch als J/S erhalten hätte in dieser hart umkämpften, ökologischen Nische. Nur eben weniger zahlreich. Von einer nihilistischen Warte aus betrachtet mag dies durchaus ein attraktives Szenario sein.
Und sicherlich hätten wir keinen Ukrainekrieg, weil die meisten Menschen eben das selbe "Schicksal" hätten wie 99.99999999999...9% der potentiell existierenden Menschen, nämlich nie existiert hätten. Da letztlich aber auf einem zeitlich ganzheitlich gesehenen Bild von Mutter Erde der Mensch am Ende nicht dem Planeten schadet sondern nur sich selber, spielt das keine Rolle.
Da kann man wieder philosophisch werden, welches Szenario ist das bessere?
1.) Hans erschießt Dieter
2.) Weder Hans noch Dieter existieren.
Dieter möchte nicht sterben weil er existiert und die Nichtexistenz fürchtet. Er hat damit aber letztlich nur den selben Zustand erreicht den er auch hätte, wenn er gar nicht erst geboren wäre. Es spielt für ihn also nach seinem Ableben überhaupt keine Rolle mehr und man kann auch nicht sagen ob für Dieter etwas besser oder schlechter wäre. Denn ihn zu fragen "Möchtest du existieren und dann aus deiner Existenz gerissen werden oder lieber nie existieren?" Kann er ja nicht antworten ohne existiert zu haben und damit über diese Frage nachzudenken.
Aber ich glaube dass schweift jetzt doch zu stark ins philosophische ab.
EDIT: Was noch das angeht ob es überlebenstechnisch Sinn macht den Nachbarsstamm abzuschlachten... auch darüber kann man diskutieren. Bis auf die Inzucht-Sache hätte dies nämlich mehr Vor- als Nachteile. Also könnte es durchaus sein, dass man in gewisser Weise der "Dunklen Wald" Theorie gefolgt ist. Aber das führt jetzt wirklich zu weit
