Southern Comfort hat geschrieben: Daher finde ich es auch sehr gut, dass so eine Diskussion mit einer Ernsthaftigkeit geführt wird. Das mag manchmal verbissen wirken...
Es wäre ja schon super, wenn diese Diskussion überhaupt mal geführt wird. Also nicht nur in gegenseitig eitlen Zurechtweisungen darüber, wer die beste nicht-rassistische Sprache spricht. In dem Zusammenhang, kann ich auch nur nochmal unterstreichen, was Du etwas weiter oben geschrieben hast: 99,9% des Rassismus findet gar nicht in Deutschland oder den westlichen Ländern statt, sondern viel unsichtbarer, per Fernwirkung in ausgebeuteten Gesellschaften, dort aber mit verheerenden Folgen für Leib und Leben der betroffenen Menschen. Wer hier lebt, und das betrifft auch unsere Mitmenschen mit etwas anderer Hautfarbe, ist ebenso ein Teil dieses postkolonialen Rassismus. Dem entkommt man auch nicht, indem man es nicht sein will oder "korrekt spricht".
Gibts des hat geschrieben:Eine Richtigstellung: kein vernünftiges Wesen wird heute noch bestreiten, dass der Kolonialismus, samt Sklavenexcess kein gute Idee war (freundlich formuliert...), aber SCHULD an den Folgen sind wir nicht.
Doch, natürlich. Ich bin ehrlich gesagt immer wieder überrascht, dass das nicht gesehen werden will. Unsere Lebenswelt ist dermaßen durchdrungen von fortbestehender Ausbeutung und fortbestehender Versklavung, dass man über Kolonialismus und Imperialismus gar nicht in der Vergangenheitsform reden kann.
Mal eins von wirklich beliebig vielen Beispielen: Schokolade. Isst fast jeder. Angeblich wird sie jetzt fair gehandelt. Neulich gabs ne ARD-Doku die zeigte, dass die Realität eine ganz andere ist. Uns wird mit billigen Marketingtricks vorgemacht, es gäbe fair gehandelte Schokolade. Um diese Lüge aufrecht zu erhalten arbeitet die Lebensmittelindustrie mit zig Zwischenhandelssystemen. Verschleiert wird dabei, dass der Rohstoff, die Kakaobohnen, bis heute in verschiedenen Länder - in der Doku gings um Madagaskar - von Kinder-Slavenarbeitern angepflanzt und geerntet werden. Meist werden diese Kinder gekauft, irgendwo in den Busch verschleppt und müssen dort kostenlos arbeiten, bis sie von den schutzlos verwendeten Pestiziden dahingerafft werden. In jedes Stück Schokolade in das Du beißt, trägst Du zu dieser Versklavung bei.
Natürlich kannst Du jetzt sagen "ich esse keine Schokolade, verschenke auch keine und kaufe auch keine." Aber wir reden ja quasi hier über nahezu alle Ausgangsprodukte, die wir importieren und weiterverarbeiten. Die allermeisten davon wurden unter Bedingungen produziert, die bei uns als krasseste Verletzung von Artikel 1 unseres Grundgesetzes aufgefasst würden. Unser Grundgesetz misst uns Rechte zu, die wir nur verwirklichen konnten bisher, indem wir anderen Menschen genau diese Grundrechte nehmen. Wir sind Verfassungsschmarozer.
Gibts des hat geschrieben:Genauso wenig, wie am Holocaust.
Der Holocaust ist da kein guter Vergleich, denn wir betreiben heute ja tatsächlich keine inländischen Konzentrationslager mehr. Ob wir sie im Ausland mitbetreiben, ist schon wieder eine andere Diskussion. Aber neulich trat auch nochmal eine Gruppe von Holocaust-Opfern auf, die wenigstens endlich dagegen angehen wollten, dass es in Deutschland bis heute wirtschaftliche Profiteure des Holocaust gibt.
Gibts des hat geschrieben:Das würde nämlich voraus setzen, dass wir etwas dagegen hätten unternehmen können und es unterlassen haben. Ist nicht der Fall. ABER: eine gesteigerte VERANTWORTUNG, dass es sich nicht wiederholt - die sehe ich schon bei uns.
Der Holocaust, wie gesagt, passiert in dieser Form nicht wieder. Der Kolonialismus und seine Folgen steht aber bis heute immer noch fort. Durch die Globalisierung ist das auch nicht besser geworden, sondern eher noch schlimmer.
Ad generell:
Natürlich kann man sich auch über rassistische Aussagen in Deutschland aufregen, das ist ja keine Frage. Im Moment betreiben wir aber nach meiner Wahrnehmung zu 90% lieber eine Diskussion über realen und angeblichen Sprach-Rassismus in Deutschland, als die realen Mechanismen des kolonialen Rassismus und seiner unmenschlichen Konsequenzen zu diskutieren. Schlich, weil wir alle so sehr davon profitieren. Diese Verschiebung ist nicht morlisch und ich persönlich habe immer wieder den Verdacht, dass es nicht wenige Leute gibt, die für sich beschlossen haben, dass das Thema Rassismus für sie ausreichend bedacht ist, wenn sie vornehmlich andere Nutzer sozialer Medien darauf hinweisen, dass sie rassistisch seien. Und dann wird die Geschichte ganz schnell albern, bzw. unreif.
Ich habe großes Verständnis für Menschen, die wissen, dass sie weiterhin Teil der Ursachen des heutigen kolonialen Rassismus sind und nicht recht wissen, wie sie aus dieser Nummer rauskommen sollen. Es ist fast unmöglich sein Leben so radikal umzustellen, dass man wirklich nicht mehr von der Ausbeutung Dritter profitiert. Und genau aus dem Grund, bin ich auch der Meinung, jeden von uns stünde es gut zu Gesicht, wenigstens nicht mehr anderen triumphal vorzurechnen, dass sie gerade Sprach-Rassismus begangen hätten. In der Bibel gibts ja den sehr treffenden Vergleich, mit dem Splitter im Augen des anderen, während wir selbst an einem Balken vorbeischielen.