Frank N Furter hat geschrieben:Ich kann das schon nachvollziehen, Southern. Wenn wir beide Abgeordnete wären und ich würde mit so verkürzten Formeln kommen, wäre Dein Hinweis mehr als angebracht. Aber wir beide leben
in einem Forum zu Zeiten der Internetcholera, Kurztextzwang und notorischen Aufmerksamkeitsdefiziten. Würde ich meine Meinung versuchen in Gänze darzustellen, bräuchte ich zwei Tage Zeit und würde am Ende hier was reinstellen, was auf Garantie kein Mensch liest.
Ich bin mir zu 100% sicher, dass auch die weitere epische Ausarbeitung eines Holzweges, nicht nach Rom führt. Ich bring jetzt mal ganz kurz und schlicht ein paar Inhalte, die mglw. auch Deine Sicht verändern. Sie bauen aufeinander auf. Du kannst dann selbst entscheiden, ab wann Du aussteigen möchtest.
- Es gibt steuerpflichtige und steuerfreie Einkünfte.
- Einkünfte = Einnahmen - Ausgaben = Gewinn od.Überschuss
- Daraus folgt: Ausgaben im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Einnahmen SIND abzuziehen. (So auch die Legaldefinion von Werbungskosten. Siehe § 9 EStG). Diesen Zusammenhang nennt man "objektives Nettoprinzip" und ist einer der Grundpfeiler für Steuergerechtigkeit.
- Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Einnahmen und Ausgaben gibt es hin und wieder Streit. Ein Beispiel: Was ist Arbeitskleidung? Ist der Anzug des Bankangestellten als Werbungskosten abzugsfähig?
Deswegen beschäftigen sich mit solchen Themen auch öfters mal Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof, manchmal auch das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof. Denn: der Rechtsweg steht uns allen ja offen. - Es gibt auch ein subbjektives Nettoprinzip, dass eine Abzugsfähigkeit von Ausgaben gestattet, die NICHT im zusammenhang mit steuerpflichtigen Einnahmen stehen (bspw. Krankheitskosten, Spenden, bestimmte Versicherungsbeiträge und Handwerkerleistngen im eigenen Haushalt... Es gibt noch viel mehr...) Hier kann man dem Staat eine gewisse Lenkungsabsicht unterstellen, weil er diese Ausgaben an engere Bedinungen knüpft als beim objektiven Nettoprinzip. Selbst der Grundfreibetrag (auch so ein netter Bestandteil des subjektiven Nettoprinzips) ist keine Gieskanne des Staates, sondern die Abgrenzung nach unten. Der Grundfreibetrag soll sich am Existenzminimum orientieren. wer weniger als 9.168 € zu versteuerndes Einkommen hat, darf nicht besteuert werden.
- Zurück zu den Werbungskosten... Es ist also vom Steuerpflichtigen der Nachweis zu führen, welche Ausgaben er getätigt hat. Da das mitunter sehr schwierig oder sehr aufwendig ist, hat man dann mal von Verwaltungsseite gesagt:
- "Ok, statt einer minutiösen Aufstellung halten wir es für ausreichend, wenn wir mit Schätzungen arbeiten. Statt einer Aufstellung von Tankbelegen, Reparaturkosten, Anschaffungskosten für den PKW, was eine Bestimmung eines indivduellen Kilometersatzes erlaubt, wobei die Kilometer aber anhand eines ordungsgemäßen Fahrtenbuches nachgewiesen sein müssen, setzen wir einfach fest, dass ein Pendler 30 Cent pro Entfernungskilometer bekommt."
- "Darüber hinaus gibt es den Arbeitnehmerpauschbetrag (1.000 €). Nicht unbedingt, weil wir den Arbeitnehmern etwas schenken wollen sondern, weil unsere Finanzamtsknechte entlastet werden sollen. Die sollen Ihre Zeit mit Sinnvollerem verbringen als die Belegsammlung von 40 Millionen Erwerbstätigen abzuhaken."
- Das ist KEIN GESCHENK, zumindest kein materielles. Das ist eine Vereinfachung der Grundregel (siehe oben) für diejenigen, denen es zu blöd ist, die Kosten so minutiös aufzuzeichnen. Und zudem erleichtert es der Verwaltung die Arbeit. All diese Pauschalregelungen haben nämlich etwas mit Verwaltungsökonomie zu tun: Der Arbeitnehmerpauschbetrag bewirkt einfach, dass Millionen von Bürgern keine Steuererklärung machen müssen, unabhängig Ihres Bruttogehalts.
- Jetzt kommt der Clou... Der Gesetzgeber braucht schon verdammt gute Argumente, vom Grundsatz des objektiven Nettoprinzips abzuweichen. Dementsprechend sind ersatzlose Streichungen von Werbungskosten einfach nicht drin. Und die Streichung eines Pauschalbetrages macht die Welt der Steuern nur komplizierter, nicht einfacher.
Frank N Furter hat geschrieben:Aber mal sorum gefragt: Als ein gewisser F. Merz seine Bierdeckel-Steuerreform vorstellte, hättest Du den auch gleich am liebsten auf den Jupiter geschossen? Also ernsthaft gefragt: findest Du den Gedanken überhaupt nicht reizvoll, dass Steuerrecht sehr stark zu vereinfachen, den Bürgern jedes Jahr viel Zeit zu sparen und wahrscheinlich 200.000-300.000 Steuerbeamte einzusparen, die dann alte Menschen pflegen könnten oder vergleichbar Dringlicheres?
Merz hat damals ein populäres Thema gehabt. Die Branche, die Steuerberaterkammern und auch der Bund der Steuerzahler haben das schnell in einem anderen Licht gesehen. Zu diversen Vereinfachungen: siehe oben... Derzeit ist in Vorbereitung die Volldigitalisierung der Steuererklärung. Das bracht noch Zeit aber wird dann dazu führen, dass Bürger womöglich einen Großteil Ihrer Steuererklärung nicht mehr ausfüllen müssen, weil bereits elektronische Meldungen über die Einkünfte bei den Finanzämternliegen. Hinsichtlich der Rentner, und der Lohn- und Gehaltsempfänder ist das bereits seit Jahren so. Was meinst Du wieviel Pflegezeit da in eine Gesellschaft zurückgespült wird? Ich glabe ja nicht dran, dass es an der mangelnden Zeit liegt, aber das ist ein anderes Thema. Aber dennoch ein kleiner Hinweis... 2016 gab es rund 188.000 Mitarbeiter in der Finanzverwaltung. (
https://www.dbb.de/fileadmin/pdfs/2018/zdf_2018.pdf). Nur für die Verhältnisse.
Meine persönliche Meinung zur Komlexität des Steuerrechts ist differenziert. Die Komplexität entspringt aus der Kreativität der Steuerpflichtigen und den ewigen Versuchen der Verwaltung Lücken zu schließen. Cum-Cum-Ex ist ein tolles Beispiel. Um das wirksam zu verhindern brauchst Du viel tiefere Kontrollmechanismen in der Bankenwelt. Das ist ein schwerer Eingriff mit großenn Anstrengungen für alle Beteiligten. Aber der verursachte Steuerschaden rechtfertigt dies. Man kann das ein bisschen vergleichen mit der organisierten Kriminalität oder der Aufrüstung im kalten Krieg. Das schaukelt sich gegenseitig auf. Man könnte alternativ mal an der Steuermoral der Leute schrauben. Aber solange "Steuern sparen" als Sport und Kavaliersdelikt gilt... wird da nichts zu gewinnen sein.
Und daher sei an der Stelle auch nochmal erwähnt (weil mich das in der Tat persönlich trifft): Ich bin als Steuerberater ein Organ der Steuerrechtspflege, kein Straftäter. Ein Mandant, der mir stolz sein tolles Steuersparmodell beschreibt, bekommt auch mal was unbequemes zu hören. Ich nehme meine Berufsethik ernst. Du hast als Gegenstück den hypokratischen Eid. Merkste was?
Ich vermute einfach mal, dass sich diese Meinung über meinen Berufsstand nicht ändert, auch wenn zwanzig Tage lang Deine eigenen Gedanken elaborierst. Das ist bereits Haltung bei Dir.
Frank N Furter hat geschrieben:Du weiß doch sicherlich besser als ich, dass selbst die Finanzbeamten und deren Ständevertreter regelmäßig darüber klagen, dass kein Schwein mehr beim Steuerrecht durchblickt.
Das höre ich eigentlich nur von Steuerpflichtigen, die nicht vom Fach sind, und älteren Kollegen, die keine Bock mehr haben, sich fortzubilden. Ich sehe das gänzlich anders. Kaum ein Sachverhalt des Lebens ist nicht von Steuern betroffen. Deswegen ist es folgerichtig, dass sich das Recht mit dem Leben ändert. Das ist ja nicht die katholische Kirche.
Aber Gegenfrage: Wieviel Deiner Patienten verstehen wirklich, was Du da tust?
Frank N Furter hat geschrieben:Es gibt ja nicht nur die diversen Steuergesetze sondern noch die AO und vor allem unzählige Verordnungen und Erlasse mit quasi Gesetzeswirkung der jeweiligen Oberfinanzdirektionen der Länder. Manchmal muss man den Eindruck haben, die überbordende Regelungsfülle würde bewußt in Kauf genommen....
Klugscheißer meinen ja, die AO wäre auch ein Gesetz...
Die Regelungsfülle ist notwendig. Es gibt viele Sachverhalte, die in der Tat in einen Regelwerk gegossen werden müssen. Was derzeit getan werden muss, um endlich mal dem Schwarzgeld in bargeldintensiven Betrieben Herr zu werden...
Da muss man fast sagen: Selber Schuld.
Lieber Gastronom, der Du meinst, es reicht auch nur 60% seiner Einnahmen anzugeben.... Jetzt mal Ohren spitzen: Du hast Deinen ehrlichen Kollegen die Welt des Kassierens versaut. Man kann es wegen Dir fast nur falsch machen.
Ich verstehe die Finanzverwaltung, die angesichts der Fälle, die bekannt wurden, halt mal härtere Seiten aufzieht. Die wollten sogar die Kassenhersteller in Haftung nehmen. Ich hätte das sogar befürwortet, gleichwohl aber juristische Probleme gesehen.
Als nächstes versucht ma europaweit den Onlinehandel in geordnete Bahnen zu bekommen. Das ist auch einfach technologisches Neuland für eine Verwaltung. Die müssen erstmal verstehen, was dort läuft, bevor sie erkennen, was falsch läuft. Und deswegen ist eBay auch so ein Eldorado für Steuerhinterzieher.
Nochmal: Die Regelungsfülle ist notwendig. Das ist anstrengend, ja. Aber dies ist Reflex einiger Grundprinzipien. Ich kann ja verstehen, wenn man da mit der Machete rein will. Aber viel zu spät merkt man, dass man keinen Urwald rodet, sondern mitten in einem endoskopischen Eingriff ist. Da ist die Machete einfach die falsche Waffe.
In Deinem unausgegohrenen Vorschlag: Erhöhung der Bemessungsgrundlage und Senkung des Tarifs...
Die Idee ist uralt. Kommt immer wieder irgendwie variiert... Es ist einfach unsozial. Das kann man auch mit wenig Kenntnis rechnen. Wir erhöhen jedes Einkommen um 1.000 € (Maßnahme egal) und senken den Tarif im Grenzsteueratz um 2%. Ein Reicher mit 200.000 € zvE zahlt also nur noch 40% (statt 42%) und eine Kleinverdiener mit 10.000 € zahlt nur noch 13% statt 15%.
Großverdiener vorher: 84.000 € Steuer
Großverdiener nachher: 80.400 € Steuer
Kleinverdiener vorher: 1.500 €
Kleinverdiener nachher: 1.430 €
Tolle Wurst... Mglw. verfassungsrechtliche Probleme und unerwünschte Effekte bishin zur gesellschaftlichen Spaltung. Das geht einfach nach hinten los. Und da mache ich auch keinen Hehl draus: Ich habe mich lange mit solchen Themen befasst, Steuerverfassungsrecht war mein Lieblingssteckenpferd, aber das Rechenbespiel von oben, hätten mir meine Lehrmeister um die Ohren gehauen, weil ich es mir zu einfach mache...
Noch was Materielles zur PP:
Bitte mal ein Auto suchen, dass real 30 Cent auf den Kilometer kostet. Ich habe mal einen LADA Urban genommen bei den ADAC Autokosten: 41 Cent.
Will (überspitzt) sagen: die Pendlerpauschale ist bislang bereits eine Diskriminierung für jeden Autobesitzer. An sich müsste jeder sagen: Scheiß auf den Aufwand! Ich schreib dann halt ein Fahrtenbuch und hebe jeden Furzbeleg auf... Dann kostet die Karre auch in der Steuererklärung real das, was sie eben für den Arbeitsweg kostet.
Wenn man ursachengerecht an die Klimakillerautos will, muss man auf den CO²-Fußabdruck gehen und verursachungsgerecht das Thema anpacken. Die Steuererklärung ist das falsche Pferdchen.