Russland/Ukrainekrieg - wer weiss... ...was?

Southern Comfort hat geschrieben:Wenn Du den nicht kennst, bleib besser beim Völkerball...

Tifferette hat geschrieben:

Southern Comfort hat geschrieben:Wenn Du den nicht kennst, bleib besser beim Völkerball...

Oder beim Völkerrecht, ist auch egal.

Dieser (Putin) empfängt Gäste, verleiht Orden, hält Reden. Aber je länger er regiert, desto entrückter ist er von der Wirklichkeit. Jetzt, im Krieg gegen die Ukraine, den er losgetreten hat, äussert er sich nur selten zum Geschehen. Wenn es aber um Geschichte geht – oder um das, was der Hobbyhistoriker für Geschichte hält –, blüht Putin auf; er vergleicht sich mit Peter dem Grossen, spricht der Ukraine das Existenzrecht ab und begründet die Notwendigkeit der «militärischen Spezialoperation» mit der angeblichen Wiederherstellung des «historischen Russland».
«Es gab keine Ukraine!»

Mit historischen Exkursen, dürfte sich Sorkin gedacht haben, sei die Gunst Putins auf jeden Fall zu erheischen. Am Ende seines jährlichen Rechenschaftsberichts, der ziemlich inhaltsleer ausfiel, legte er dem Geschichtsliebhaber deshalb eine historische Landkarte aus Frankreich vor, entstanden im 17. Jahrhundert, zu Herrschaftszeiten von Ludwig XIV. Die Kopie habe er im Archiv des Verfassungsgerichts entdeckt, meinte Sorkin.

Leicht unsicher im Ton, aber geradezu unterwürfig erläutert er den Sinn seines Mitbringsels: «Dort gibt es schlicht keine Ukraine!» Sorkin scheint von dieser Erkenntnis ganz beseelt, Putin antwortet trocken: «Ja, natürlich.» Er habe es riskiert, die Karte mitzubringen, weil es doch viele Spekulationen gegeben habe über die Wurzeln – wo und wie das entstanden sei, sagt Sorkin. Nur die Gebiete der Rzeczpospolita – der polnischen Adelsrepublik – und der Kosaken sowie das grosse russische Zarenreich habe es zu der Zeit gegeben.

Putin gibt seine Vulgärversion der damaligen Geschichte wieder – die Territorien seien schlicht Teil der Rzeczpospolita gewesen und hätten dann darum gebeten, ins Moskauer Reich einverleibt zu werden. Erst nach der Oktoberrevolution seien «quasistaatliche Gebilde» entstanden, und die Sowjetmacht habe die Ukraine erschaffen. «Bis dahin gab es in der Geschichte der Menschheit keine Ukraine.»
Putins verzerrtes Geschichtsbild

Daran und an den Ableitungen aus der Landkarte ist so gut wie alles falsch oder zumindest strittig. Aus ukrainischer Sicht war die Vereinbarung von Perejaslaw 1654 zwischen den Kosaken und dem russischen Zaren Alexei Michailowitsch, dem Sohn des Begründers der bis 1917 herrschenden Romanow-Dynastie, eine Allianz zweier unabhängiger Staatsgebilde, keine Unterwerfung. Vor allem aber ist es ein Putinscher Mythos, zu behaupten, erst die Sowjets hätten einen ukrainischen Staat geschaffen. Er übergeht nicht nur die nationale Bewegung der Jahrzehnte davor, sondern auch die kurzlebige unabhängige ukrainische Republik nach dem Sturz des Zaren.

«Es gibt dort keine Ukraine» – Sorkins Argument wird mit dem Blick auf die Karte ad absurdum geführt. «Ukraine pays des Cosaques», steht an einem Ort geschrieben; «Ocraina» an einem andern, nördlich des Asowschen Meeres. Schlimmer noch: Sollte die Karte historische Ansprüche rechtfertigen, müsste Russland Gebiete abtreten, die Putin just für «historisch russisch» hält. So zeigt sie das Moskauer Reich noch vor dem «Zusammenschluss» mit dem Kosaken-Hetmanat, die Krim ist noch ein eigenständiges tatarisches Khanat, und die Ostseeküste mitsamt dem Standort des 1703 gegründeten St. Petersburg gehört zum Königreich Schweden.
Nur das Imperium zählt

Dass der Kreml diese gewagte Geschichtsstunde ungeniert verbreitete, ist im Lichte früherer Geschichtsliebhaberei Putins nicht verwunderlich. Schon in seinem vor zwei Jahren verfassten, als Präludium zum Angriff auf die Ukraine lesbaren Aufsatz, der der Ukraine und den Ukrainern die Eigenständigkeit absprach, missverstand er die Dynamik historischer Entwicklungen und die Bedeutung von Prozessen der Nationenbildung.

Das spiegelt sich auch in dieser Groteske um Sorkins Landkarte aus dem 17. Jahrhundert. Natürlich existierten damals die meisten heutigen Nationalstaaten nicht. Diesen deshalb das Existenzrecht abzusprechen und daraus den Anspruch auf Territorien zu erheben, zeigt erneut und drastisch das imperiale Denken des Kremlchefs. Für dieses fehlgeleitete Geschichtsverständnis nimmt er einen Krieg mit Zehntausenden von Toten und die Zerrüttung des ukrainisch-russischen Verhältnisses auf Jahrzehnte hinaus in Kauf.

Familie Mild hat geschrieben:Gibzdes au auf greekisch?

Goofy hat geschrieben:Gibt es etwa noch Internetseiten, die nicht auf Kreml-Linie sind?

flux hat geschrieben:Bin gespannt, wie das weiter geht:
https://www.n-tv.de/politik/Wagner-Chef-ruft-zum-Aufstand-gegen-Armeefuehrung-auf-article24214493.html