Wunderbar. Sowas hab ich zur Mittagszeit gebraucht. Zitate aus dem Text, schnell mal weggevespert:
Mordermittlungen sind hier nur eine Erzählkonvention, etwa so wie die Existenz böser Feen im Märchen.
Eben. Wie einst im Märchen. Sowas war fanden die Leute halt schon immer spannend.
Kino war das Massenmedium der Weimarer Zeit, mit ähnlich breiter Wirkung wie aktuell das Fernsehen.
Lustig. Der Text kommt ein paar Jahre zu spät. Das Fernsehen ist nicht mehr das Leitmedium der Gesellschaft.
Das Leben einfacher Menschen dagegen wurde stets vom übermächtigen Schicksal gesteuert, am Ende stand tragisches Scheitern.
Das hat Kracauer für die damaligen Filme sicher richtig analysiert. Aber das findet sich eher selten in den Krimis der heutigen Zeit. Also: Klingt gut, macht Stimmung, gehört m.E. aber nicht in den Text.
Was offensichtlich ansteigt, sind die Ängste, Opfer von Verbrechen zu werden, und sie scheinen Grund genug zu sein, entweder die AfD zu wählen oder zumindest Restriktionen gegen Flüchtlinge und Migranten zu verlangen. Woher kommen diese Ängste? Reale Wahrnehmungen kommen als Auslöser eher nicht infrage. Haben die Leute also vielleicht zu viel ferngesehen?
Ich halte dagegen: Haben die Leute also vielleicht zu viel im Internet gesurft?
Worum geht es dem Krimi?(...) Schuld und Sühne (...) das Böse im Menschen (...) verborgene Abgründe (...) düsteres Geheimnis (...) zwielichtige Subjekte (...) Ängste beim Publikum.
Das ist ja grauenhaft!
Trifft aber nicht immer zu, oft sind die Motive sehr persönlicher Natur. Es soll sogar schon Krimis mit Mördern gegeben haben, die von verletzten Gefühlen oder Verzweiflung getrieben wurden. Die Palette ist also weit größer als es uns der Autor darlegt. Gutes Beispiel, alter Klassiker: "Derrick". Oft ging es um Mörder, deren Motive der Zuschauer nachvollziehen konnte. Man durfte / sollte fast schon sympathisieren (Achtung, Selbstjustiz-Falle!) und wenn es am Ende halt doch die Verhaftung gab, dann tat's Derrick fast selbst schon Leid. Bleiben wir bei Derrick: Wenn es da mal konkret um das Böse im Menschen ging - wie wunderbar beispielhaft in der Folge "Höllensturz" als Duell zwischen Teufel und Gott (Derrick) -, dann hat natürlich das Gute gesiegt und die Welt war am Ende wieder in Ordnung. Kommt auch bei den heutigen Krimis noch vor - dass die Welt am Ende wieder in Ordnung ist.
Doch die Masse deutscher TV-Krimis hat sich längst zu einem schematisch produzierten Mainstream entwickelt.
Den Vorwurf kann man bringen. Aber es ist ein recht einfacher Vorwurf. Oder kritisiert hier jemand Mercedes dafür, dass sie tatsächlich Autos mit vier Rädern herstellen? Gewisse Muster gibt'a halt... Auch wenn das eine Auto besser gelingt als das andere und manches auch recht schrottig ist.
Anstatt von den Schattenseiten des Lebens zu erzählen, ist die vulgäre Tendenz entstanden, überall nur das Verderbte zu entdecken. Die Welt der Tatorte, der Sokos, Polizeirufe, der Teams für Zwei, der Rentnercops und wie sie alle heißen ist ein gewohnheitsgesteuertes Universum herbeifantasierter, böser Machenschaften, voll von Pessimismus und Aggression. Charme, Großzügigkeit und Offenheit, Spaß an der menschlichen Diversität oder sogar Humor haben hier wenig Platz.
Der Autor verallgemeinert. Das mache ich dann auch: Dieser Absatz ist blanker Unsinn. Wann hat der Autor zuletzt mehrere Folgen der genannten Formate gesehen? Und zwar ganz, nicht nur für ein paar Zapp-Minuten, um seine Vorurteile zu bestätigen. Bitte etwas mehr Mühe geben & Aufwand betreiben, bevor man sowas raushaut.
Die Helden, mit denen sich der Zuschauer identifiziert, sind allesamt Vertreter der Staatsgewalt. Normale Menschen begegnen ihnen als Antagonisten, die stets verdächtig erscheinen.
Unsinn. Allein schon "allesamt" und "stets". Siehe oben: Bitte mehr Mühe & Aufwand!
Zeigt sich hier nicht wieder die altbekannte deutsche Sehnsucht nach Unterordnung unter eine Autorität?
Ach, der Autor kommt wirklich viele Jahre zu spät. Diese These ließ sich wunderbar auf Formate wie "Der Kommissar" oder "Derrick" anwenden. Heutzutage? Naja, manchmal. Aber nicht so, dass es für eine These reicht.
Aber es liegt nun mal auf der Hand, dass in einer Atmosphäre, in der alle Welt dunkler Absichten verdächtig ist und Gewalt an der Tagesordnung zu sein scheint, am Ende die Fremden als besondere Bedrohung wahrgenommen werden. Man kennt sie nicht, sie benutzen unverständliche Sprachen, ihre Kultur ist uns nicht vertraut.
Andersrum. Man müsste Fremden positiv wahrnehmen. Denn in den meisten Krimis sind die Täter Verwandte oder Bekannte, die Mordmotive sind persönlich begründet.
Die Fernsehanstalten könnten den Einfluss, den sie auf das Bewusstsein der Menschen haben, für etwas Besseres nutzen. Für mehr Aufklärung, die auf Englisch "enlightenment" heißt.
Mehr Traumschiff?
Aber keine Sorge, je schlechter es den Menschen geht, umso ablenkend-unterhaltender geht es im TV zu. Auch erwiesen. Insofern ist die hohe Krimi-Anzahl der letzten Jahre eher ein Spiegelbild dafür, dass es den meisten Menschen hierzulande noch relativ gut geht. Anders, als es AfD & Co. uns weis machen wollen.