1463 Beiträge





redrum
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Lombaseggl
Ich setze es mal hier hinein, obwohl die Diskussion um das Tenenboom-Interview im Politikfred stattfand. In meinen Augen eine interessante Stellungnahme zum Thema "Veränderung in der Berichterstattung". Wenngleich ich nicht alle Argumente und Rückschlüsse des Autors teile. So zum Beispiel, dass Unternehmen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit immer mehr auf gelernte Journalisten setzen. Das ist ein alter Hut und keine neue Entwicklung.

http://www.wolfgangmichal.de/2017/03/wi ... en-wurden/


Nilkheimer
Halbdaggl
Völlig läppische Sache, meine Fresse. Bin ein wenig irritiert, dass Du - Weltwissentschaftler! - für so einen Käse überhaupt einen Finger rührst.
Aber das macht doch nichts.

Hasenrupfer
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Grasdaggl
Crastro, bisch's du?

Man wär ja schon interessiert, was da ominöses verbreitet wurde, aber außer Nilk und dem Foren-Allmächtigen hat's wohl keiner gesehen.
Insofern: Three men can keep a secret - if two of them are dead

:bounce:

Nilkheimer
Halbdaggl
Guggsch halt hier:

[Nochmal zensiert]

Huch. Ich sehe ja jetzt erst, was für eine rechte Scheiße das ist.

Aber immerhin: Ausnahmsweise dieses Mal zunächst den Inhalt gedisst und dann erst die Quelle. Fortschritt, yeah!
Aber das macht doch nichts.


Frank N Furter
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Himbeertoni
Frank N Furter hat geschrieben:Zensiert


Gut, wenn die Quelle nicht genehm ist, der Inhalt war ja 100% korrekt, dann also für diejenigen, die wissen wollen, was inhaltlich so schlimm war zensiert werden zu müssen:

Folgendes meldet die ARD auf ihrer Webseite zur Kriminalstatistik die gestern vom BIM vorgestellt wurde:

ARD hat geschrieben:„Ein Kapitel der Kriminaltstistik befasst sich auch mit dem Zusammenhang zwischen Kriminalität und Zuwanderung. Die Zahl tatverdächtiger Zuwanderer ist demnach im vergangenen Jahr um 52,7 Prozent gestiegen – auf 174.438. Die Zahl ist damit deutlich weniger stark gestiegen als im Vorjahr, als der Anstieg gemäß dem Jahreslagebild des Bundeskriminalamts noch 91 Prozent betragen hatte.“


http://www.tagesschau.de/inland/krimina ... k-109.html

Und diese Darstellung ist nicht nur irgendwie falsch, aus Schusseligkeit oder mangelnden Mathekenntnissen, sondern bedurfte einer absichtsvollen Manipulation.

Rechnen wir gemeinsam:

Laut Herrn de Maizière wurden 2016 174.438 tatverdächtige Flüchtlinge gezählt. 52,7% mehr als in 2015.
Die 52,7% entsprechen 60.202 tatverdächtigen Flüchtlingen, so dass in 2015 114.236 tatverdächtige Flüchtlinge verzeichnet wurden.
Von 2014 auf 2015, also im Vorjahreszeitraum, nahm die Zahl der tatverdächtigen Flüchtlinge um 91% zu. Das bedeutet im Jahr 2014 zählte man 59.809 Flüchtlinge mit einer Zunahme von 54.427 auf eben jene 114.236 2015.

von 2014 auf 2015 zählte man also einen Zuwachs von 54.427 tatverdächtigen Flüchtlingen
von 2015 auf 2016 zählte man also einen Zuwachs von 60.202 tatverdächtigen Flüchtlingen

Un obwohl der größte Einfallspinsel nun wohl kaum behaupten würde die Zahl der tatverdächtigen Flüchtlinge sei rückläufig, rechnet die ARD ihren Rezipienten einen Rückgang von einer Steigerung von 91% auf 52,7% vor. Was man natürlich nur hinbekommt, wenn man absichtsvoll die falsche Zahlenbasis wählt und dann zum Vergleich eine andere Zahlenbasis.

Läppische Sache? Nun ja, Ansichtsache vielleicht eher. Eine Webseite, die eine Aktion gegen "Fake-News" startet und promotet, sollte es eventuell vermeiden selbst Fake-News zu erzeugen, meiner Ansicht nach. Dies möglicher Weise um so mehr, als es sich um eine staatlich finanzierte "Nachrichtenquelle" handelt, die besonderes Vertrauen genießt, bzw. ehemals genossen hat.
https://bit.ly/2x1Kpuf

Hasenrupfer
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Grasdaggl
Achso, da ging's um die alljährliche Vorstellung der Kriminalitätsstatistik, welche mal wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand gestern auf allen ÖR in Dauerschleife gesendet wurde - Bayern 2, B5 Aktuell, DLF, Phoenix waren lediglich die Sender bei denen ich's selbst vernommen hab.


Airwin
Hasenrupfer hat geschrieben:Achso, da ging's um die alljährliche Vorstellung der Kriminalitätsstatistik, welche mal wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand gestern auf allen ÖR in Dauerschleife gesendet wurde - Bayern 2, B5 Aktuell, DLF, Phoenix waren lediglich die Sender bei denen ich's selbst vernommen hab.




jo und was waren nochmals die wichtigen erkenntnisse?

Die durch zuwanderer verübte kriminalität hat überproportional zugenommen.
Die zunahme der gewaltdelikte geht vor allem auf die zuwandernden zurück.
zuwanderer die opfer einer gewalttat wurden , wurden dies zu 80% durch die gewalt anderer zuwanderer ( hier sind übrigens nicht die ossis gemeint :arr: ).


Irgendwie hat die berichterstattung das etwas verwässert, siehe ARDbeispiel.

fkAS
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Halbdaggl
Frank N Furter hat geschrieben:von 2014 auf 2015 zählte man also einen Zuwachs von 54.427 tatverdächtigen Flüchtlingen von 2015 auf 2016 zählte man also einen Zuwachs von 60.202 tatverdächtigen Flüchtlingen

Un obwohl der größte Einfallspinsel nun wohl kaum behaupten würde die Zahl der tatverdächtigen Flüchtlinge sei rückläufig, rechnet die ARD ihren Rezipienten einen Rückgang von einer Steigerung von 91% auf 52,7% vor. Was man natürlich nur hinbekommt, wenn man absichtsvoll die falsche Zahlenbasis wählt und dann zum Vergleich eine andere Zahlenbasis.
...

Tatsächlich war sie aber rückläufig in Relation zur gestiegenen Zahl der Nettozuwanderung. Ohne diese Basis ist auch der Anstieg um 91% im Vorjahr nicht aussagekräftig.
Die 52,7% nehmen schon die richtige Zahlenbasis. Die Frage ist, ob ich absolute Veränderungen betrachte oder prozentuale Veränderungen. Ich finde beides irreführend ohne die Relation zur Zuwanderung insgesamt.

Airwin
Journalist Moser u.a zur journalistischen Behandlung des NSU-Falles (hier Kiesewetter):



https://www.heise.de/tp/features/Fall-N ... ml?seite=3


Die ARD-Dokumentation über die offenen Fragen des Kiesewetter-Mordes von Clemens und Katja Riha hat viel Zustimmung erfahren - und bemerkenswerte Ablehnungen. Eine der absonderlichsten kommt von Wolfgang Drexler (SPD), dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg.

Er übernimmt das Urteil der SZ-Kommentatorin (s.o.) vom "Dschungel der Verschwörungstheorien". Vor allem aber hat er sich bei den Intendanten der ARD über den Film beschwert. Eigentlich halte er sich bei der Bewertung auch bisweilen weniger sachlicher Medienbeiträge "bewusst überaus [!] zurück", schreibt Drexler in seiner Pressemitteilung zu dem Film.

Das stimmt wieder einmal nicht. Vor nicht mal zwei Jahren hat sich der Parlamentarier über eine andere NSU-Dokumentation von Clemens und Katja Riha ("NSU - Kampf um die Wahrheit") beim Intendanten des ZDF beschwert. Das ZDF hat den Film damals aus dem Programm genommen und seither nicht mehr gezeigt. Jetzt hat der SWR mit diesem neuen Film genau dasselbe getan - kurz vor Ausstrahlung aus dem Programm genommen und sich distanziert.

Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt, etablierte Medien, etablierte Politiker. Die gravierende politische Erkenntnis ist: Die Beharrungskräfte, die Blockierer im Falle NSU, sitzen in der Mitte der Gesellschaft.

Mit ihren Vorwürfen greifen sie nicht etwa eine (Verschwörungs-)Theorie an, die ja gar nicht aufgestellt wird, sondern Recherchen. Was sie wollen, ist, dass nicht berichtet wird über Ungereimtheiten, offene Fragen, Details, die nicht in die offizielle Hypothese passen. Das alles soll verschwiegen werden. Ein anderer Begriff für Vertuschen. Drexler kritisiert an dem Riha-Film unter anderem auch, dass Michèle Kiesewetter als Jugendliche "im Badeanzug" [Anm.: Es war ein Bikini] gezeigt wird. Hier wird das Bemühen sichtbar, irgendetwas gegen die recherchierenden Journalisten zu finden. Notfalls zieht man es an den Haaren herbei.

Und sie messen mit zweierlei Maß. Denn die offizielle Theorie, wie sie die BAW vertritt, ist für sie sakrosankt. Jedoch: Dass Böhnhardt und Mundlos die alleinigen und einzigen Täter beispielsweise in Heilbronn waren, ist nicht beweisen. Es ist nicht einmal belegt, dass sie am Tatort waren. Die Version der BAW ist nichts weiter als eine ziemlich dürftige Verschwörungstheorie. Dreimal mussten BAW-Vertreter im dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag Rede und Antwort stehen. Sie blieben mehr Antworten schuldig, als sie gaben. Die Staatsanwälte des Bundes konnten ihre eigene Hypothese, sprich ihre spezifische Zwei-Täter-Uwe-Uwe-Theorie, nicht gegen die Zweifel der Abgeordneten daran verteidigen.
[...]

RedBlues
Halbdaggl
fkAS hat geschrieben:
Frank N Furter hat geschrieben:von 2014 auf 2015 zählte man also einen Zuwachs von 54.427 tatverdächtigen Flüchtlingen von 2015 auf 2016 zählte man also einen Zuwachs von 60.202 tatverdächtigen Flüchtlingen

Un obwohl der größte Einfallspinsel nun wohl kaum behaupten würde die Zahl der tatverdächtigen Flüchtlinge sei rückläufig, rechnet die ARD ihren Rezipienten einen Rückgang von einer Steigerung von 91% auf 52,7% vor. Was man natürlich nur hinbekommt, wenn man absichtsvoll die falsche Zahlenbasis wählt und dann zum Vergleich eine andere Zahlenbasis.
...

Tatsächlich war sie aber rückläufig in Relation zur gestiegenen Zahl der Nettozuwanderung. Ohne diese Basis ist auch der Anstieg um 91% im Vorjahr nicht aussagekräftig.
Die 52,7% nehmen schon die richtige Zahlenbasis. Die Frage ist, ob ich absolute Veränderungen betrachte oder prozentuale Veränderungen. Ich finde beides irreführend ohne die Relation zur Zuwanderung insgesamt.


Welche Arten von Straftaten zählen in diese Statistik mit rein? Ist das die in der auch Schwarzfahren mit einbezogen wird?
Nicht falsch verstehen, ich finde generell einen Anstieg immer negativ und es gibt auch nur in den wenigsten Fällen Begründungen die ich für einen Anstieg akzeptieren würde, aber man muss, so finde ich, wissen was hier alles als Straftat gewertet wird und wie die prozentuale Verteilung ist.

Beispiel: Besitz von kleinen Mengen Gras, jeder der damit erwischt wird begeht eine Straftat, die Kriminalitätsstatistik treibt das doh ziemlich in die Höhe. Irgendwann hat man in BaWü meines Wissen beschlossen, dass mna kleine Mengen die zum Selbstverzehr genutzt werden nicht mehr zu erfassen, das senkte die Statistik. Aber auf der Straße wurde es nicht sicherer bzw. Unsicherer wie zuvor.

Das gleiche würde für Schwarzfahrer gelten, solten diese erfasst werden. Keiner würde sich sicherer oder unsicherer fühlen, wenn man so einen Delikt nicht erfassen würde.

Dagegen sind natürlich Übergriffe auf Mitmenschen, Einbrüche, etc nicht tolerierbar und haben eine direkte Auswirkung auf die Sicherheit dee Bürger.


redrum
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Lombaseggl
@airwin: Nur dem Namen nach.

Aber jetzt etwas ganz anderes. Emre Soncan ist Redakteur bei der türkischen Zeitung Zaman und sitzt seit acht Monaten in Untersuchungshaft. Jetzt hat er vor Gericht seine Verteidigungsrede gehalten, die ich lesenswert finde:

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Wollten Sie jemals sterben? Ich schon! Und zwar in jener Nacht, in der wir in einer Zelle, die eigentlich für drei Häftlinge vorgesehen ist, mit 13 Personen übernachten mussten. Nach der Zeit in der Unterschungshaft wurde ich mit anderen Journalisten zusammen ins Gefängnis verfrachtet. Wir saßen in einer Gefängniszelle, die “Quarantäne” genannt wurde. Ich warf mich in der ersten Nacht, nachdem uns schreckliches angetan wurde, worüber ich an dieser Stelle nicht sprechen will, auf das Bett. Dante nennt in seiner “Göttlichen Komödie” das 35. Alter die Mitte des Lebensweges. Ich war gerade 35 und betete zum ersten Mal in meinem Leben zu Gott, um zu sterben: “O Herr! Nimm mir heute Nacht das Leben, so dass ich den Morgen nicht erlebe.”

Denn ich dachte, dass diese Welt zur Hölle eines anderen Planeten geworden ist. Als ich jedoch morgens doch aufwachte wurde mir bewusst, dass jeder neuer Tag neue Hoffnung mit sich brachte. “Solange man atmet darf man sich nicht vom Leben lossagen!”, sprach ich auf mich ein. Ich bin an diese Stelle mit der Absicht gekommen, unbeirrbar meine Überzeugungen zu verteidigen, bis die Gerechtigkeit siegt.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Das Universum gibt es seit 14 Milliarden, die Erde seit 4,5 Milliarden und den Menschen seit 200 Tausend Jahren. Das von der NASA entdeckte Radioblitzsignal ist drei Milliarden Jahre von der Erde entfernt ausgesendet worden. In dieser grenzenlosen Raum und Zeit sind Sie und ich nur zwei winzige Punkte. Wir können unserem Leben nur einen Sinn geben, in dem wir uns bemühen der Wahrheit etwas näher zu kommen. Ich werde mit meiner Verteidigung einen Schritt in Richtung der Wahrheitsfindung gehen, und Sie hingegen mit ihrem Urteil. Ich bin mir sicher, dass ich früher oder später vor dem jüngsten Geschicht freigesprochen und rehabilitiert werde. Aber vorerst will ich hier in meiner Heimat von den Richtern meinen Freispruch bekommen.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Ich werde meine Verteidigung kurz halten. Nach einer Einführung werde ich auf die, in der Anklageschrift festgehaltenen Anschuldigungen gegenüber meiner Person Antworten.

Nachdem ich staatliche Grund- Mittelschule und das Gymnasium absolviert hatte, bekam ich ein Stipendium für ein Studium an der Başakşehir Universität. Während meines Studiums absolvierte ich bei der Tageszeitung Star ein kurzzeitiges Praktikum. Während meines Hauptstudiums arbeitete ich dann als Praktikant für den Nachrichtensender CNN Türk. Auch bei der Tageszeitung Zaman begann ich 2004 als Praktikant. Die Zeitung übernahm mich jedoch, so dass ich 2005 begann hauptberuflich als Redakteur zu arbeiten. Anfang 2009 wechselte ich in das Hauptstadtbüro nach Ankara, wo ich für das Präsidialamt und für sicherheitspolitische Themen zuständig war. In meinem 12-Jährigen Berufsleben habe ich bestimmt Fehler begangen, jedoch nie bewusst Unrecht getan. Ich verstehe meinen Beruf als einen Auftrag für die Öffentlichkeit und träumte immer von einem Journalismus fernab von hohen Plazas, in denen sich die schicksten und ansehnlichsten Redaktionsräumlichkeiten befinden. Ein Redakteur ist für mich jemand, der seine Arbeit wertschätzt, wirklichkeitsnah berichtet und den Morgen mit einem Glas Tee und einem einfachen Sesamring beginnt. In keinem Medienhaus für das ich tätig war, habe ich diese Utopie leben können. Es ist traurig, dass es keinem Medienunternehmen in der Türkei gelungen ist, dieses Ideal zu verwirklichen.

Ich habe mein ganzes Leben lang Partei ergriffen. So stand ich immer für das Leben, für die Freiheit und Demokratie, für die Gerechtigkeit ein… Deswegen habe ich auch immer wieder auf Grundlage der universellen demokratischen Werte meine Stimme erhoben und Kritik geübt, wenn ich der Ansicht war, dass etwas Falsch läuft. Ich bin nie Mitglied einer Organisation, einer religiösen Gemeinde, eines Ordens oder einer ideologischen Vereinigung geworden. Die einzige Vereinigung dessen Mitglied ich bin, ist die Journalistenvereinigung. Jedoch bereue ich mittlerweile auch diese Mitgliedschaft sehr, denn sie hat sich nicht ausreichend um die inhaftierten Journalisten gekümmert und auch nicht genügend ihre Rechte verteidigt.

Ich habe immer Journalismus im Namen der Werte von denen ich überzeugt bin betrieben und wurde im 12. Jahr meiner Berufsausübung mit der Anschuldigung, “Mitglied einer bewaffneten Terrororganisation” zu sein verhaftet. Und das, obwohl man mir keine einzige Gewalthandlung vorwirft. Unser Recht auf offenen Besucherempfang, Gespräche mit den Verteidigern, Telefonnutzung und der Erwerb von Büchern von außerhalb wurde eingeschränkt. Über dem Innenhof (des Gefängnisses) war ein Stück Himmel zu sehen. Auch das sollte uns verwehrt werden, es war wohl zu viel an Freiheit. Dieses freie Stück wurde wie einst West- und Ostdeutschland voneinander getrennt wurden, mit Zäunen zugezogen, damit wir ja nicht die Flugzeuge, die über uns fliegen berühren und die Wolken umarmen können. Unter diesen Umständen verbrachte ich ganze 241 Tage und Nächte und habe nun endlich die Gelegenheit mich zu verteidigen.

Der berühmte Verfassungsrechtler Albert Venn Dicey schreibt in seinem 1885 veröffentlichten Standardwerk “Introduction to The Study of The Law of The Constitution”, dass gegen keinen ein Gerichtsprozess geführt werden darf, es sei denn er hat ein Gesetz gebrochen. Sie wissen besser als ich, dass dies die Grundlage von Rechtstaatlichkeit ist. Folglich können weder Regierungen, noch Mitglieder der Justiz Menschen bestrafen, weil ihnen ihre Handlungen oder Meinungen persönlich missfallen. Die im 21. Jahrhundert erstellte und ihnen vorliegende Anklageschrift liegt jedoch weit fern von dem Rechtsverständnis des 19. Jahrhunderts. Der verehrte Staatsanwalt Çağlak wirft mir vor, dass meine Meinungsäußerungen einen Straftat darstellen und begeht damit selbst die größte Straftat, in dem er diese Behauptung aufstellt. Aber der verehrte Staatsanwalt übersieht etwas: Meinungen und Ideen sind kugelsicher und passen in keine Gefängniszelle. Sie sind stets flüchtig.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Die Vorwürfe gegen meine Person können in drei Abschnitte eingeteilt werden. Als Erstes geht es um ein Interview mit einer Zeitung und um meinen Äußerungen, die ich während einer Fernsehsendung zum Ausdruck gebracht habe. In beiden Fällen geht es um meine Kritik an dem Staatspräsidenten. Als Zweites geht es um meine Posts in den sozialen Medien und schließlich um mein Guthaben von 31.400 Lira auf einem Konto bei der Bank Asya.

Zuerst will ich unterstreichen, dass meine Äußerungen über den Staatspräsidenten weder Beleidigungen beinhalten, noch Gewalt verherrlichen, oder zur Gewalt aufrufen. Zu der Zeit meiner Kritik wurden weder Ermittlungen gegen mich eingeleitet, noch wurden sie widerlegt. Daher müssen sie auf Grundlage der Artikel 25 und 28 der Verfassung bewertet werden. Es geht hier also um Meinungs- und Pressefreiheit. Zudem bedeutet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Freiheit nicht nur die Meinungen zur Sprache zu bringen, die von Gesellschaft und Staat als richtig oder unschädlich betrachtet werden, sondern auch, dass frei zu Äußern, was von Staat oder Teilen der Gesellschaft als negativ oder falsch bewertet werden.

Wie es auch schon Rıza Türmen, ehemaliger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formuliert hat: die Pressefreiheit gehört zu den Grundpfeilern, die ein demokratisches Regime von autoritär-totalitären Regimen trennt. Die Meinungsfreiheit stellt den Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft dar. Die Hauptaufgabe der freien Presse ist es, das Informationsrecht des Volkes in die Tat umzusetzen und die Fehler der Regierung der Öffentlichkeit aufzuzeigen, um den Bürgern die Teilnahme an Entscheidungsprozessen zu erleichtern.

In autoritär-totalitären Regimen wird die Presse wiederum unter Kontrolle gehalten und für die eigenen Zwecke benutzt. Deshalb werden die Entscheidungen bezüglich Journalisten, einen negativen oder positiven Einfluss auf die Diskussion über die Staatsform in der Türkei mit sich bringen.

Wir haben in der Geschichte Beispiele Totalitäre Regime gesehen haben und können heute in unterschiedlichen Regionen dieser Welt andere Totalitäre Regime weiter beobachten. Sie bezwecken lediglich, dass das Volk die Tatsachen über die Regierung nicht erfährt, ihre Treue und Bindung zum Führer durch Bewunderung sowie durch das Stillegen von oppositionellen Stimmen erfolgt. In solchen Regimen wird Kritik mit Vaterlandsverrat gleichgesetzt.

Laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte kann das Eingreifen in die Pressefreiheit in sehr großen Ausnahmefällen und zwangsläufigen Situationen hinnehmbar sein. Das Feld der Pressefreiheit ist groß. Ein Eingriff darin kann lediglich dan hingenommen werden, wenn Hasstiraden ausgesprochen werden und es einen Aufruf zur Gewalt gibt. Ohnehin ist aus meiner Sicht genau das die Basis dieser Thematik. In keiner Rede, keinem Text, keinem Posting oder keiner Nachricht habe ich Hasstiraden verwendet oder zur Gewalt aufgerufen. Im Gegenteil: in vielen Nachrichten, die ich mit der Öffentlichkeit geteilt habe, habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gewalt nie ein Mittel sein kann. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Zühtü Aslan, hat sich an der Debatte bezüglich Meinungsfreiheit folgendermaßen beteiligt: “Die Meinungsfreiheit ist die Freiheit des Anderen. Die Meinungsfreiheit ist ein Wert, dass wir bei der Definition unser selbst und anderer, bei dem Verstehen sowie Nachvollziehen des Anderen und bei der Definition unserer Beziehungen zu anderen brauchen. Wir müssen diesen Wert zu schätzen wissen.”

Sehr geehrtes Komitee, legen wir mal die Interpretationen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beiseite: Meinungen, die keine Gewaltaufrufe, Denunziationen oder Hasstiraden beinhalten, als Straftat einzustufen, ist eine große Unhöflichkeit gegenüber den demokratischen Erfahrungen der Türkei. Schließlich hat Herr Staatsanwalt Çağlak während der Auflistung der Entscheidungen bezüglich der Einschränkung von Meinungsfreiheit, in dem Vorschriften-Kapitel der Anklageschrift, ohne es bemerkt zu haben, die Anschuldigungen mir gegenüber selbst wertlos gemacht. Die Interpretationen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass Gedanken und Meinungen “unbequem, schockierend, übertrieben und sogar aggressiv sein können” und dass Aussagen, die zur Gewalt aufrufen verboten werden können, hat Çağlak persönlich in die Anklageschrift eingebaut.

Welche meiner Gedanken, meiner Aussagen, meiner Reden oder Postings haben denn Merkmale, die zur Gewalt aufrufen?

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Manchmal fühle ich mich wie die mytologische Figur Sisyphos. In den mytologischen Erzählungen heißt es, dass Sisyphos damit bestraft wurde, in der Hölle einen großen Felsstein einen steilen Hang hinaufzurollen. Immer kurz bevor er das Ende des Hangs erreichte, entglitt Sisyphos der Stein, sodass wieder von vorn anfangen musste. Kamus hat diesen Mythos mit seiner “absurden” Metapher erzählt. Auch ich antworte schon seit Monaten auf die Anschuldigungen mir gegenüber, aber jedesmal wird auf die Fortsetzung meiner Haft entschieden. Ich erzähle es noch einmal, ich erfahre nochmal dasselbe Ergebnis. Als wäre ich in einer Endlosschleife…

Eines der Begründungen für die Fortsetzung meiner Haft wiederholt sich immer wieder. Dabei ist es die Vermutung, dass ich fliehen könne. Bevor ich festgenommen wurde, haben Twitter-Accounts, die in den sozialen Netzwerken eine gewisse Popularität erreicht haben und denen eine regierungsnähe vorgeworfen wird, mehrmals über meine bevorstehende Verhaftung geschrieben. Obwohl ich Visen für mehrere Länder habe, bin ich nicht ins Ausland gereist. Nachdem ich vom Haftbefehl gegen mich erfahren habe, bin ich ins Polizeipräsidium gegangen und habe mich gestellt. Dennoch wird mir vorgeworfen, dass ich fliehe könne. … Um diese Behauptungen zu bekräftigen wurde gesagt, dass bei ähnlichen Prozessen einige Namen ins Ausland geflüchtet sind. Eines der universellen Grundprinzipien ist es, dass niemand für die Straftat eines anderen bestraft werden kann. Warum werde ich dann aufgrund der Taten von Menschen, mit denen ich nichts zu tun habe, bestraft? Meine Haft ist nun nicht mehr lediglich eine Präventionsmaßnahme, sondern sie hat sich zu einer einer offenen Bestrafung entwickelt.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Eine andere Anschuldigung in der Anklageschrift ist mein Kontostand von 31.400 Türkische Lira bei der Bank Asya. Schließlich kann ein Journalist, der als Reporter tätig ist, nur so viel Geld auf seinem Konto haben. Weil die Zeitung Zaman mit der Bank Asya gearbeitet hatte, wurde mein Gehaltskonto bei dieser Bank eröffnet. Als die Zeitung Zaman vorher mit der Vakıfbank gearbeitet hatte, war auch mein Konto bei der Vakıfbank. Ich habe mein Geld nicht mit irgendeiner Anweisung auf das Konto von Bank Asya angelegt. 2013 hatte ich 20.000 Türkische Lira, 2015 stieg das auf 31.000 Türkische Lira. Aber auch dieses Geld lag nicht lange auf meinem Konto, weil ich mir ein Auto kaufte. Von den jeweiligen Institutionen kann die Belege beschaffen. Wenn ich mein Geld an die Bank Asya mit irgendeiner Anweisung oder im Rahmen einer Solidaritätskampagne angelegt hätte, dürfte ich mein Geld bis zum letzten Moment dort nicht abheben. Schließlich kann ich auch die Anschuldigungen gegenüber meinem Guthaben, das in einer staatlich beaufsichtigten und gesetzlich legitimen Bank liegt nicht nachvollziehen.

Sehr geehrter Ausschuss,

Falls Sie mich am Ende dieses Prozesses bestrafen oder Freitagabend wieder ins Gefängnis zurückschicken, werden Sie eigentlich nicht mich, sondern die Figur, die Herr Staatsanwalt Çağlak in seinen Träumen erfunden hat, bestrafen. Ich möchte aber deutlich machen, dass ich jede Entscheidung respektieren werde. Auch wenn alle Staatsanwälte der Welt zusammenkommen – geschweige denn dieser Herr Staatsanwalt – und dieselbe Anschuldigung vornehmen: ich bin kein Terrorist. Ich bin Emre Soncan. Ich bin Journalist. Deshalb werde ich das reine Gewissen unschuldig zu sein auch dann tragen, wenn ich erneut hinter Gittern muss.

Herrn Çağlak habe ich nie gesehen. Schließlich hat er mich nicht einmal verhört. Deshalb kenne ich ihn nicht. Aber hinter dieser Anklageschrift sehe ich ein Unglück. Dahinter sehe ich die Seele einer Person, die in ihrem Leben nicht einmal ein Gänseblümchen gepflückt hat; nie, die durch den Regen durchnässten Haare einer hübschen Frau, welche unter Schein der Straßenlaternen prahlen, liebend gestreichelt hat. Ich sehe jemanden, der in seinem Leben keinen Platz für das Lächeln oder die Tränen eines Babys gefunden hat; jemanden, der bei der Fahrt von Üsküdar nach Beşiktaş den Möwen keine Sesamringe zugeworfen hat; jemanden, der nicht mal als Kind versucht hat die Sonnenstrahlen einzufangen; jemanden, der ständig von seinem eigenen Schatten wegzulaufen versucht.

Euer Ehren und sehr verehrte Mitglieder des Gerichts,

Abschließend möchte ich Bezug nehmen auf meine Beiträge in den sozialen Medien. Verehrter Staatsanwalt hat einen meiner Tweets hoch motiviert und euphorisiert nach dem Motto: “Jetzt habe ich dich erwischt Emre Soncan” ganz oben in meiner Akte angebracht. In diesem Tweet schrieb ich folgenden Inhalt: “Ich weiß nicht, ob ich wegen diesen Tweets verhaftet werde, aber ich bezweifle die Plausibilität der Aussage, hinter diesem niederträchtigen Putsch stünde die Gülen-Bewegung”. Wahrscheinlich hat der Staatsanwalt in aller Freude vergessen, meine Tweets vor und nach diesem Posting hier ebenfalls anzuführen. Dabei schrieb ich sowohl in meinen vorigen Tweets, als auch in denen danach ausdrücklich, dass ich mich gegen diesen Putsch stelle und mit der legitim gewählten Regierung solidarisiere. Das tat ich bereits in der Nacht des Putsches, zu einem Zeitpunkt, als noch völlig unklar war, mit welchem Ergebnis diese Unternehmung zu Ende gehen würde. Während sowohl Regierungsmitglieder, als auch Vertreter der Opposition den Verlauf des Putsches abwarteten, positionierte ich mich schon vorher im Sinne der Demokratie. Mein Anwalt wird diese Tweets dem hohen Gericht vorlegen. Wenn wir auf den Inhalt meines besagten Tweets schauen, dann liegt darin meine Annahme, dass hinter diesem Putsch, der 248 unserer Mitbürger das Leben kostete, ausländische Geheimdienste stecken könnten, die, während die geographischen Verhältnisse und Grenzen im nahen Osten umverteilt werden, ein gesteigertes Interesse an einer entsprechenden Positionierung Ankaras haben und die Türkei in einen neuen Block hinein preschen wollen. So denke ich.

In Anbetracht meiner Jahrelangen Erfahrung, meinen Beobachtungen und meinen Analysen der Quellen schon bereits vor meiner Verhaftung, als auch während meiner Zeit in Haft, komme ich auf ein solches Paradigma und auf das Ergebnis, dass die Gülen Bewegung keinesfalls eine Terrororganisation sein kann. Ich weiß, dass meine Aussagen in dieser außergewöhnlichen Phase, ein Urteil über mich negativ beeinflussen könnten. Aber ein freier und unabhängiger Journalist kann das, woran er fest glaubt, nicht für sich behalten. Es ist seine Aufgabe dies zu verkünden, koste es was es wolle. Meine anderen Tweets und meine Gespräche und Texte beinhalten ebenfalls keinen Aufruf zu Hass und Gewalt. Alles habe ich im Rahmen der durch unsere Verfassung gewährleisteten Meinungsfreiheit geäußert. In keinem meiner Tweets und Gespräche gibt es eine strafbare Absicht. Keines meiner Aussagen oder Tweets beinhalten die nationale Sicherheit und die Öffentlichkeit gefährdende oder negativ beeinflussende Aspekte. Laut Paragraph 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, des Weiteren die Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und die Rundfunkfreiheit gewährleistet. In dieser Etappe hat man, um einen Anschein der Geheimnistuerei zu erzeugen, angegeben, es seien Akten gefunden worden, die als streng Geheim gekennzeichnet wären. Ich habe die besagten Akten vom Generalsekretariat des Staatspräsidenten eingefordert und Einsicht genommen. Für die Neugierigen; bei den Akten handelt es sich um meine frei zugänglich archivierten Schriftverkehre.

Euer Ehren und sehr verehrten Mitglieder des Gerichts,

Auf unserer Heimat liegt ein breiter Nebelschleier. Wenn sich eines Tages dieser Nebel löst, wird meine Verteidigung und Ihr Urteil in den Weiten der Unendlichkeit erhallen. Wir durchqueren so turbulente Zeiten, dass wir alle – aber vor allem die Politiker, Denker, Journalisten und Juristen – alle gemeinsam uns dafür einsetzen müssen, dass sich das Bewusstsein unseres Volkes endlich aus dieser Zwangsjacke befreit und zu der Vernunft zurückkehrt. Das ist, was dringend nötig ist. Sokrates hatte durch seinen Tod die Ehre des Lebens beschützt. Genau so verteidige ich seit 241 Tagen grundloser Haft die Ehre des freien und unabhängigen Journalismus. Wenn heute draußen eine bessere Türkei existiert, weil wir Journalisten hier in Haft sind, bin ich gerne dazu bereit mein Leben hinter Gittern zu verbringen. Aber es sei nicht vergessen; in Ländern, in denen der Journalismus verhaftet wird, herrscht niemals die Freiheit.

Vor Ihnen steht kein Terrorist. Vor Ihnen steht jemand, der niemals auch nur in die Nähe von Terror, Gewalt und Hass gekommen ist. Vor Ihnen steht durch und durch ein Journalist. Von nun an liegt die Entscheidung bei Ihnen. Mein Gewissen ist rein. Eines Tages wird mich die Geschichte freisprechen. Denn ich habe niemals den Rahmen des Journalismus verlassen. Eines Tages wird mich die Geschichte freisprechen. Denn ich habe die Würde meines Berufes niemals mit den Füßen getreten. Und ja, eines Tages wird mich die Geschichte freisprechen, denn ich habe meine freien Gedanken nicht auf dem Sklavenmarkt zum Verkauf angeboten. Euer Ehren, ich beende meine Worte mit dem Ausdruck meines Vertrauens in die gerechte Waagschale Ihres Gewissens und fordere meinen Freispruch.

Airwin
Und noch mal was anderes. Nach jahrzehntelangen fakenews durch deutsche journalisten hat der mittlerweile über 80jährige wehrsportgruppen-hoffmann am mittwoch bei aktenzeichen xy einen freispruch 3ter klasse bekommen. So eine art jedenfalls.

– Im Alter von 16/17 nahm er (G.Köhler) an zwei Übungen der damaligen WSG Hoffmann teil, eine rechtsextreme Gruppierung. Das Interesse daran ging aber wieder vorüber und später hatte er auch keine Bezüge mehr zur WSG.


Es gibt nicht nur in der türkei einen tiefen staat.


Airwin
guter kommentar in der FAZ:

„Sag’s mir ins Gesicht“
Tagesschau-Chefredakteur wartet vergeblich auf Trolle
Hasskommentare vergiften das gesellschaftliche Klima. Die Frage ist, ob in dieser Lage eine grenzenlose Definition von „hate speech“ hilft. ARD-aktuell-Chef Kai Gniffke stellte sich Zuschauern im Videochat.

Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, stellte sich Kritikern im Video-Dialog.
Nicht jede Einladung wird bekanntlich angenommen. So erging es gestern Abend Kai Gniffke als Chefredakteur von „ARD-aktuell“. Ihm sollten Zuschauer auf Facebook live und ungeschnitten „ins Gesicht sagen,“ was gemeinhin unter Hasskommentaren verstanden wird, neudeutsch „hate speech“ genannt (Link zum Videomitschnitt). So saß er da und wartete auf jene Mitmenschen, die in den sozialen Netzwerken nicht nur ARD-Journalisten das Leben schwer machen. Gniffke wartete allerdings vergeblich. Es gab niemanden, der ihn mit Beleidigungen traktierte oder sich sonst im Ton vergriffen hatte. Wer will auch schon live via Skype zum Deppen der Nation werden oder sich gar strafbar machen? Ein solcher pöbelnder Zeitgenosse wäre innerhalb von Minuten viral gegangen, wie man das im Netzjargon so schön nennt. Das Internet vergisst nichts, weshalb Andy Warhols berühmte „fünfzehn Minuten des Ruhms“ mittlerweile sogar Ewigkeitswert genießen. Für die Betroffenen bedeutet das unter Umständen lebenslange Stigmatisierung, selbst wenn sie nur einmal für einen kurzen Moment von allen guten Geistern verlassen worden sein sollten.


Es gehört zu den kulturellen Codes einer funktionierenden Gesellschaft, nicht jedem alles ins Gesicht zu sagen. Nicht jede Wahrheit (oder auch Lüge) auszusprechen, erleichtert das menschliche Zusammenleben. Das Lästern hinter dem Rücken der Betroffenen hat das noch nie verhindert. Diese Erfahrung wird man sicherlich auch in den diversen ARD-Redaktionen schon gemacht haben. Trotzdem wirkte Gniffke regelrecht enttäuscht, warum keiner der Hasskommentatoren dieses Gesprächsangebot namens „Sag's mir ins Gesicht“ angenommen hatte. Er wurde weder beleidigt, noch hat ihm ein Zuschauer seinen Hass auf die ARD erklärt.

Justiziable Beleidigungen oder politische Polemik?
An diesem Punkt wurde deutlich, wo das eigentliche Problem ist. Die „hate speech“ Debatte krankt schlicht daran, dass sie zwischen Konventionen und politischer Diskussion nicht mehr unterscheidet. Hier wird umstandslos alles in einen Topf gerührt. Es ist ein kategorialer Unterschied, ob es um justiziable Beleidigungen geht oder um politische Polemik. So erläuterte Gniffke in einem kurzen Film, was die ARD so alles unter „hate speech“ versteht. Es bedeutet „die Abwertung von Menschen“ wegen ihrem „Geschlecht, der Sexualität, der Religion und der Hautfarbe“. Unter hate speech fasst die ARD außerdem Begriffe wie „Dämonisierung“, „Verallgemeinerungen („Alle Griechen sind faul“) und „Unterstellungen.“

Nur ist der Satz „Alle Griechen sind faul“ rechtlich zulässig, wird aber deswegen nicht richtig. Zudem ist völlig unklar, wann Menschen wegen ihrem Geschlecht oder ihrer Religion abgewertet werden. Ansonsten könnte sogar die bisweilen ätzende und verletzende Religionskritik der Aufklärung sehr schnell auf eine Art „Hate-Speech-Index“ geraten.

Diese Definition ist somit nichts anderes als eine politische Werteentscheidung, die sich als Bekämpfung von Hasskommentaren maskiert. Es ist keineswegs verboten, etwa einen Gottesstaat jeglicher Provenienz anzustreben, oder eine kommunistische Gesellschaft seligen Angedenkens. Es ist nicht die Aufgabe von Journalisten, über die Legitimität politischer Meinungen zu urteilen. Sie können daher auch nicht darüber entscheiden wollen, wer sich an solchen Debatten beteiligen darf und wer nicht. Sie haben aber Anspruch auf das, was Gniffke gestern Abend mit guten Grund einforderte: Respekt und angemessene Umgangsformen. Das gilt allerdings auch für sie selbst.

So dümpelte die Debatte vor sich hin, weil sie ohne Beteiligung der Hasskommentatoren stattfand. Sie verlagerte sich stattdessen auf die Voraussetzungen journalistischer Arbeit. Dabei zeigte sich, wie die Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt die Reputation wohl nicht nur der öffentlich-rechtlichen Medien angeschlagen hat. In diversen Beiträgen wurde dieses Thema angesprochen, wobei sich Gniffke durchaus selbstkritisch zeigte: Gerade zu Beginn der Krise habe sein Sender die russische Perspektive in der Berichterstattung zu wenig berücksichtigt. Das war eine durchaus interessante Erkenntnis. Tatsächlich geht es in der Berichterstattung nicht um die Wahrheit, sondern erst einmal nur um die Schilderung der Perspektiven relevanter Akteure auf wichtige Ereignisse. Zum journalistischen Handwerk in unserem westlichen Verständnis gehört die kritische Würdigung solcher Aussagen, damit sich die Zuschauer eine eigene Meinung bilden können. Ihnen soll gerade nicht „eine Meinung untergejubelt werden“, wie es Gniffke formulierte. Journalistische Objektivität ist eben etwas anderes als die Formulierung sogenannter „Wahrheiten“. Sie hat bestenfalls überprüfbare Fakten zur Grundlage, die aber fast immer zu unterschiedlichen Interpretationen führen.

Welchen am Ende der Zuschauer folgt, ist nicht die Verantwortung der Berichterstatter. Insofern ist es für Gniffke als Chefredakteur der wichtigsten deutschen Nachrichtensendung sinnlos, sich mit seinen Zuschauern über politische Interpretationen zu streiten. Er will ihnen ja schließlich erst die Grundlagen für solche Diskussionen zur Verfügung stellen. So war gestern Abend zu erleben, was manche Zuschauer darunter verstehen: Nämlich alles für schlechten Journalismus zu halten, was ihrer eigenen Sichtweise widerspricht. Das wurde in einem Disput Gniffkes mit einem Zuschauer über den sogenannten „rechten Sektor“ in der Ukraine deutlich. Ist „Ultra-Nationalisten“, so Gniffke, oder „Nazis“ die richtige Bezeichnung, wie es der Zuschauer meinte. So wird Journalismus zum Kampf um die Deutungshoheit, womit er sich aber endgültig zum Schlachtfeld für Propaganda und Gegenpropaganda degradiert.

Gniffke versuchte dem durchaus etwas entgegenzusetzen. Nur eine Idee kam Gniffke nicht: Ob seine Definition von „hate speech“ nicht dem gleichen Muster entspricht. Nämlich als Kampf um die Deutungshoheit über gesellschaftliche Entwicklungen. Sie beschränkt sich gerade nicht auf strafrechtlich relevante Tatbestände wie Beleidigung oder Volksverhetzung, sondern begreift sich als Instrument zur Steuerung des politischen Diskurses. Als politischer Standpunkt ist das völlig in Ordnung. Nur handelt es sich bei der ARD nicht um ein privatwirtschaftliches Unternehmen in einem pluralistischen Mediensystem. Dort kann sich schließlich jeder aussuchen, ob man einen solchen Standpunkt mit seiner Kaufentscheidung unterstützen will oder nicht.

Die ARD wird dagegen von den Gebühren aller Bürger bezahlt. Diese müssen ihn somit zwangsweise kaufen, selbst wenn sie ihn nicht teilen. Damit schafft sich die ARD erst die Legitimationsprobleme, für die sie aber noch nicht einmal eine journalistische Begründung anzubieten hat. Zu einem guten Journalismus gehören allerdings prononcierte Kommentare, worauf Gniffke mit guten Gründen hinwies. Das ist der Ort, um sich mit kontroversen politischen Inhalten auseinanderzusetzen. Ein journalistisches Stilmittel ist übrigens immer noch die Polemik. Ansonsten sollte sich die ARD auf das beschränken, was niemand hinnehmen muss: Statt Argumenten lediglich unflätige Bemerkungen jeglicher Art zu formulieren. Niemand muss sich beleidigen lassen oder falsche Tatsachenbehauptungen hinnehmen. Das war aber schon immer so. Auf eine grenzenlos gewordene Definition tatsächlicher und vermeintlicher Hasskommentare kann man dagegen gut verzichten.

So kann man nur eines hoffen: Dass in den beiden kommenden Sendungen von „Sag's mir ins Gesicht“ ebenfalls niemand auf die Idee kommt, sich über sinnvolle gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen. Anja Reschke am Montag und Isabel Schayani am Dienstag (jeweils ab 19:00 Uhr auf dem Facebook-Account der Tagesschau) sollten sich allerdings mit den Zuschauern streiten. Das ist schließlich der Sinn von Journalismus: Streit zu ermöglichen anstatt ihn zu verhindern.

Airwin
schönes safranski-interview in der NZZ - man könnte teilweise meinen er spricht über das segglforum :


Lesen Sie Zeitungen?

Das tue ich, in der guten alten Papierform. Zeitungslektüre gehört am Morgen zum Frühstück – ich halte es mit Hegel, der sie den «realistischen Morgensegen» nannte.

Sie trauen den Medien mit Seriositätsanspruch also weiterhin über den Weg?

Sicher, und um Ihnen ein wenig zu schmeicheln, auch und gerade der NZZ, die in Deutschland einen hervorragenden Ruf geniesst. Die alte Tante atmet den Geist des soliden Journalismus, zwischen ihr und mir besteht ein belastbares Verhältnis. Im Übrigen lese ich gerne vergleichend und natürlich zwischen den Zeilen. Ich schaue mir regelmässig die «FAZ» an, dann die «Badische Zeitung» und zwischendurch mal die «Zeit».

Ich höre aus Ihren wohlgewählten Worten heraus, dass Sie dennoch Misstrauen hegen.

Der ökonomische Druck auf die Verlagshäuser nimmt zu, die Korrespondentenberichte nehmen ab, es wird weniger recherchiert, das ist ein offenes Geheimnis.

Ihr Misstrauen rührt also nicht daher, dass Sie den Journalisten einen normativ geprägten Blick unterstellen? Stichwort: Lügenpresse.

Doch, ich verspüre auch zunehmend einen verinnerlichten normativen Druck unter Journalisten. Besonders eklatant war dies im Herbst 2015 und 2016 der Fall, in den angespannten Monaten der Flüchtlingskrise. Da haben in Deutschland Regierung und Medien fast einstimmig das schöne Lied der Willkommenskultur angestimmt. Es war kaum auszuhalten . . .

. . . Sie haben sich selbst furchtlos eingeschaltet und die Einwanderungspolitik von Angela Merkel harsch kritisiert.

Es war eben gerade ein Mangel an politischer Gestaltung, und darauf habe ich hingewiesen. Bis Vernunft eingekehrt ist, hat es im Flüchtlingsherbst sehr lange gedauert, auch unter Publizisten. Woher dieser normative Druck? Ist es ihre Aufgabe, uns Leser zu informieren und aufzuklären, oder ist es ihre Aufgabe, uns zu bekehren und zu belehren?


Die Frage ist wohl rhetorischer Natur. Wollen Sie damit sagen, dass das Gros der Journalisten Weltverbesserer sind?


Nun, viele schreiben nicht, was sie denken, weil sie glauben, dass solche Gedanken die Situation verschlimmern könnten. Sie schreiben das, wovon sie gerne hätten, dass es wahr wäre – das ist in ihren Augen ihr genuiner Beitrag zu einem zivilen Zusammenleben. Und das mag ja auch alles sehr gut gemeint sein. Aber Pädagogik statt Publizistik – das geht auf die Dauer nicht gut, die Leser sind ja nicht blöd.

Wenn Sie den heutigen Stil mit früher vergleichen, was genau hat sich verändert?

Die Pädagogik im Dienste des vermeintlich Guten führt in meiner Wahrnehmung zu einer Konformität, die sich ergibt, ohne ausdrücklich angeordnet zu sein. Auf einmal reden alle wie beim evangelischen Kirchentag. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass die Konkurrenz der sozialen Netzwerke und des Internets mit ihren Enthemmungen und Verwahrlosungen diese Pädagogisierung in den seriösen Blättern begünstigt hat.
Jedenfalls war, um ein Beispiel zu nennen, der öffentliche Diskurs in der Zeit der Ost-West-Spaltung richtig kämpferisch und nicht so betulich-pädagogisch wie heute. Natürlich konnte diese damalige Selbstbehauptungsrhetorik im Angesicht der Gefahr ziemlich nervig sein, gerade für einen Linken wie mich, der den aggressiven Antikommunismus der Presse viel zu fanatisch fand.

Werden Sie konkreter, woran stossen Sie sich genau?

Konservative Positionen sind in Deutschland gegenwärtig fast undenkbar. Es gibt eine flächendeckende Sozialdemokratisierung. Wer beispielsweise behauptet, der Nationalstaat sei ein Zukunftsmodell, weil es in grösseren Formaten notwendigerweise ein Demokratiedefizit gibt, wie das EU-Europa beweist, der gilt als rechts. Und rechts meint in Deutschland gegenwärtig so viel wie rechtspopulistisch, also rechtsradikal, also rechtsextrem, also Nazi, das sind die Gleichsetzungsdelirien in der deutschen Öffentlichkeit.

Oder ein anderes Beispiel. Wenn Sie sagen, dass Gesellschaften, die zu viele Fremde in kurzer Zeit aufnehmen, ihre innere Kohärenz verlieren und sich ihrer selbst entfremden, wenn Sie also diese anthropologische Binsenwahrheit sagen, dann gelten Sie als Unmensch oder Kulturrassist, wie es neuerdings heisst.


cordoba
Granadaseggl
Airwin.
Du solltest wissen: R. Safranski, P. Sloterdijk und B. Strauß sind Ausgestossene.
Tripel S - Da weiss man gleich, wo's herkommt.
Ich bin Brustringer ©