Die HerzmaschineWenn Charlie aufhört, hat Keith Richards schon vor fast dreißig Jahren gesagt, dann kündige ich. Charlie Watts hat aber nie aufgehört, obwohl er gar nicht bei den Rolling Stones bleiben wollte. Drei Monate gab er ihnen, ein knappes Jahr bestenfalls. Er hatte schließlich was Vernünftiges gelernt, hatte erste Aufträge als Grafikdesigner, spielte ein bisschen Jazz und schwärmte für Charlie Parker und Benny Goodman. Die Band, die nie "ein Rock'n'Roll-Unternehmen" sein wollte und doch das größte aller Zeiten und Völker wurde, war ihm zu wenig sophisticated, außerdem wollte er nicht schwitzen.
Merkwürdigerweise gelang ihm das.
Der Vater, viel mehr working class geht fast nicht, war Lastwagenfahrer, der Sohn wollte es besser haben und brachte es mehrmals zum bestangezogenen Mann nicht nur im Popbusiness. Die Savile Row mit ihren maßgeschneiderten Anzügen war ihm wesentlich lieber als der Rock'n'Roll-Zirkus. Noch ein Hotel in noch einem amerikanischen Hinterwäldlerkaff, wo ihnen die weiße Bürgerwehr zusetzte, wenn sie es wagten, mit den Schwarzen zu improvisieren. Bei Bill Wyman reichte das Kerbholz nicht aus für all die Groupies, die er verbrauchte. Mick Jagger, da ganz Demokrat, ließ sowieso links und rechts nichts anbrennen. Keith rauchte den Rest als Joint. Charlie Watts dachte sehnsüchtig an seine Frau Shirley zu Hause und blieb ihr ein Leben lang treu. Wenn ihn doch der Übermut packte, telefonierte er ein paar Freunde zusammen, ging mit ihnen auf Tournee und spielte die Klassiker, altmodischen Jazz.
Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, nur der halbe Charlie.
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Charlie machte hinten immer gleichmäßig weiter. Er nämlich lieferte den Backbeat, nicht nur weil er das Beständigste war. Eines der aggressivsten Lieder der Stones, "Street Fighting Man", entstand mithilfe eines automatischen Schlagzeugs, dem sich Charlie Watts mit der ihm eigenen Mischung aus Todesverachtung und Präzision fügte. Nie war er weiter weg von seinen Jazz-Fantasien. Und nie besser. Er war, sprechen wir es doch ruhig aus, die Herzmaschine der Rolling Stones.
Womit nun natürlich die Anekdote zu folgen hat, die fast jeder kennt, und wer sie nicht kennt, hat womöglich die Rolling Stones nie verstanden und womöglich auch die Musik an sich nicht.
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[ "Where is my drummer?!" / "You are my singer!"
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Jetzt sprach Charlie das große Amen. Am Montag ist er wieder in seine Suite hinaufgefahren und hat sich, auch wenn achtzig doch kein Alter ist, zur Ruhe begeben. Mick Jagger und Keith Richards bleiben verwaist zurück. Ladies and Gentlemen, die Rolling Stones sind Geschichte.