Da ich keine neuen Threads eröffnen kann, es aber keinen Thread zum Thema "Theater" gibt (in einem Kultur-Forum!!!), schreibe ich das mal hier rein. Ich habe am Freitag im Staatstheater Stuttgart Claus Peymanns Inszenierung von Shakespeares KÖNIG LEAR gesehen und daraufhin folgende Kurz-Kritik verfasst:
Die schwarze, schräge Bühne ist fast leer. Der Bühnenboden wird von einem Kreis umschlossen, in der Mitte steht ein Thron, an dem eine Krone hängt. Ein alter Mann in weißem Anzug mit Fliege kniet auf dem Boden und malt mit Kreide einen Kreis, den er dann in 3 Teile aufteilt: Der alte Lear teilt sein Reich an seine drei Töchter auf, und damit beginnt die Tragödie. Claus Peymann kehrt nach 40 Jahren zurück nach Stuttgart und inszeniert am Staatstheater Shakespeares KÖNIG LEAR. Knapp vier Stunden, gefühlt fast ungekürzt. Shakespeare pur. Einfach Lear. Kein modernes Regietheater, dafür die wohl textgetreueste Shakespeare-Inszenierung, die ich jemals auf einer deutschen Bühne gesehen habe. Peymann vertraut nur und ausschließlich nur dem Text, der beinahe vom Blatt gespielt wird. Eine karge, fast leere, von hinten nach vorne schiefe, abwärts führende Bühne, umfasst von einem Kreis. Die Bühne wird von einem Lichtbogen umrahmt. Hinten und rechts zwei Glastüren, durch die auf- und abgegangen wird. In der Mitte von der Decke hängend ein Haken, an welchem Lear zu Beginn seine Krone aufhängt, dazu ein Thron und 2-3 Stühle. Sonst nichts, nur die leere, schwarze Bühne. Im Folgenden entwickelt sich die Handlung nachvollziehbar (was man ja nicht bei allen Shakespeare-Inszenierungen dieser Tage sagen kann), die Schauspieler sprechen eine an die heutige Sprache angepasste Prosa-Übersetzung aus dem 18.Jahrhundert von Wolf Graf Baudissin. Bis auf die Narrenlieder, die hat kein Geringerer als Peter Handke übersetzt hat. Gewöhnungsbedürftig ist Burgschauspieler Martin Schwab in der Hauptrolle als Lear, obwohl seit mehr als 30 Jahren am Burgtheater aktiv, spricht er immer noch unüberhörbar mit deutlich schwäbischer Dialektfärbung, was doch etwas irritiert. Zudem deklamiert er im Gegensatz zu den anderen Schauspielern (alle aus dem Haus-Ensemble) seinen Text. Für Shakespeare-Puristen sicher großartig. Das Publikum folgt sehr konzentriert der Handlung, hin und wieder gibt es offenen Szenenapplaus (auch wenn sich mir das an ein paar Stellen nicht erschlossen hat), am Schluß begeisterter Applaus (wenngleich unter 10 Minuten, was bei Peymann "freundlich, aber nicht begeistert" heißt, ab 10 Minuten "Begeisterung", ab 15 Minuten "Triumph). Das präzise Spiel der Schauspieler weiß zu überzeugen, allerdings schleicht sich vor der Pause schon die eine oder andere Länge ein. Man hätte vielleicht an der einen oder anderen Stelle kürzen und straffen können, aber das ist wohl Peymanns Verständnis von Werk-Treue. Und wenn man Peymann als Regisseur verpflichtet, bekommt man eben Peymann. Die Kritiker waren weniger begeistert, schrieben von "altmodischem, konventionellen Erzähltheater", was ja an sich nicht schlecht sein muss. Auch vermissten die Kritiker die Herstellung von Bezügen zur heutigen Welt, die Beantwortung der Frage, warum man im Jahr 2018 eben KÖNIG LEAR inszeniert. Aber so wurden eben wohl vor 40 Jahren Bühnenklassiker gespielt. Wenn Lear, Kent und der Narr im Sturm über die Heide irren, dann isst hier die Windmaschine im Einsatz, die einen durchsichtigen Vorhang bis in die ersten Zuschauerreihen weht, die Sprenkel Anlage ist im Einsatz, der die Bühne umgebenden Lichtbogen blitzt, die Scheinwerfer sorgen für zuckende Blitze, vom Band kommt ohrenbetäubender Donner. Überzeugend für mich Lea Ruckpaul in der Doppelrolle Cordelia und Narr, Peter-René Lüdicke als Lear treu ergebener Graf von Kent sowie Elmar Roloff als Graf von Gloucester, dem ja auf offener Bühne die Augen ausgerissen werden (wobei dies mit dem Rücken zum Publikum geschieht). Regan und Goneril werden von Manja Kuhl und Caroline Junghanns als eiskalte und böse Hexen gespielt. Wenig Entwicklungspotenzial haben Albany (Michael Stiller) und Cornwall (Andreas Leupold) Nach mehr als 2 Stunden geht es dann in die Pause. Nach der Pause auch Text-Treue, wenn bei Shakespeare gesagt wird dass Lear in seinem Wahnsinn eine Krone aus Ästen und Zweigen auf dem Kopf trägt, dann trägt Lear hier eine Krone aus Ästen und Zweigen. Abgesehen davon, dass man doch durchaus eine halbe Stunde oder so hätte kürzen können (und vielleicht auch sollen), hat es mir ganz gut gefallen. Eben eine Inszenierung wie aus vergangenen Zeiten. Für Shakespeare-Puristen ein Muss, wer es lieber etwas moderner, aktueller und temporeicher mag, dürfte hier eher enttäuscht werden.