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“Hat die Filmkritik-Plattform Rotten Tomatoes ihren guten Ruf verdient?”

Ja, absolut – wenn man lesen kann. Rotten Tomatoes bietet drei Wertungen an: die Kritikerwertung, darin enthalten die Wertung der “Top Critics”, und die Zuschauerwertung. Top Critics sind besonders bekannte, erfahrene oder gut beleumdete Filmkritiker.

“Das hat auch damit zu tun, dass Rotten Tomatoes binär funktioniert.”

Nein, Rotten Tomatoes funktioniert nicht binär, sondern bietet für jede der drei Wertungen eine Prozentzahl.

“Kritiker haben hier nur die Option, einen Film entweder als gut oder schlecht einzustufen – ohne Abstufung.”

Nein, die Kritiker veröffentlichen ihre Rezensionen auf ihren eigenen Plattformen und bewerten einen Film dort so, wie es ihre Publikation vorgibt: oft mit bis zu fünf Sternen, manchmal auch völlig ohne Skala. Rotten Tomatoes veröffentlicht sehr kurze Auszüge dieser Kritiken und bietet einen Link an. Die Anzahl der Kritiken ist ebenfalls angegeben, man kann sehen, wie breit die Basis für die Bewertungen ist.

Der einzige binäre Aspekt an dieser Platform ist das Tomatensymbol neben der Wertung: ab 60% gibt’s eine frische Tomate, unter 60% einen grünen Pflatscher. Diese Symbole stehen aber nicht allein, sondern immer neben der Prozentwertung. Kennt Gregor Schmalzried die Plattform überhaupt?

Natürlich muss man weiterlesen, wenn man an einem Film interessiert ist, aber eine Prozentzahl ist schon mehr als das, was man sonst so hat: Einzelmeinungen aus dem eigenen Umfeld. “Boah, so ein Scheiß”, oder “Der hat mich echt zum Nochdenke agregt” etc. etc. (Man erfährt die Gedanken nie – das ist normalerweise Code für “hab ich kein’ Meter kapiert”)

Nur die ganz Doofen werden ihre Entscheidung allein am Tomatensymbol ausrichten – und mit der Kritik ist es ja eh immer so eine Sache: man muss die Kritiker kennen und deren Geschmack deuten können, sonst kriegt man nur die gröbste Tendenz. Gerade deshalb ergibt sowas wie Rotten Tomatoes überhaupt Sinn: sammelt man möglichst viele Kritiken, ist man nicht von Einzelmeinungen abhängig.

“Auch David Steinitz, Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung sieht das Modell kritisch: „Es können dort nur Sachen gute Bewertungen bekommen, die eine möglichst große Masse an Menschen ansprechen und eine möglichst große Masse an Menschen sprechen natürlich Mainstream-Produkte an.”

Beliebt er zu scherzen? Ich habe mal ein paar Filme rausgepickt:

The Disaster Artist: 94%
Raw: 90%
Funny Games: 64%
Funny Games (das Mainstream-Remake): 52%
Nekromantik: 50%

Pfadfinderehrenwort: ich habe mir die Filme als Beispiel ausgedacht, bevor ich deren Wertung kannte. The Disaster Artist ist momentan auf deren Homepage in der Liste, Raw will ich schon lang mal gucken, Michael Haneke ist mir als guter Non-Mainstream-Filmemacher als erstes in den Sinn gekommen, und mir ist auf Anhieb kein Film eingefallen, der weiter vom Massengeschmack entfernt wäre als Nekromantik.

Funny Games ist Hanekes “schlechtestes” Werk auf Rotten Tomatoes – der kommt mit seinen Filmen auf bis zu 100%. Die Wertung für Jörg Buttgereits Klassiker entspricht den Erwartungen: ist halt echt net jedermanns – und auch nicht jeden Kritikers – Sache.

Dass auf Rotten Tomatoes “nur Sachen gute Bewertungen bekommen, die eine möglichst große Masse an Menschen ansprechen”, ist Kokolores. Es ist für kleine Filme natürlich etwas gefährlicher: je weniger Kritiken vorliegen, desto stärker beeinflussen diese die Wertung. Aber dabei können natürlich auch sehr gute Wertungen herauskommen. Jeder kann seine eigenen Stichproben machen, und ich denke, dass Rotten Tomatoes da gut wegkommt.

“David Steinitz: „Es kann ja zum Beispiel auch ein Film handwerklich sehr toll gemacht sein, man kann aus sehr vielen Gründen finden, dass der wirklich tolle Regie hat, tolle Schauspieler, tolle Kamera, aber trotzdem selber sagen, gefällt mir nicht. Findet man jetzt in einer Prozentwertung bei Rotten Tomatoes nicht wiedergespiegelt.“”

Doch, findet man – eben weil es eine Prozentwertung ist. Und alles ist transparent, die Namen der Kritiker und der Volltext der Kritiken – soweit erhältlich – sind angegeben. Wenn ein Kritiker einen Film als mittelmäßig bewertet, weil er sowohl Vorzüge als auch schlechte Seiten hat, dann entscheidet meines Wissens die Redaktion, ob das eine gute oder schlechte Bewertung ist. Damit muss man leben – das ist aber am Wesen der Kunstkritik wirklich nix neues, diese Schwäche gibt es schon immer.

Übrigens, was erzählt dieser Steinitz da eigentlich: Ein halbwegs tauglicher Filmkritiker wird einem guten Film, der ihm selbst nicht gefallen hat, immer eine – zumindest tendenziell – positive Bewertung geben.

Anlass dieses Artikels war, dass Rotten Tomatoes die Wertung für Justice League bis nach dem Filmstart zurückgehalten haben soll. Macht man nicht, und ein Schelm wer dabei denkt, dass Warner Bros. Anteile an Rotten Tomatoes besitzt. Das stinkt natürlich – zum Glück gibt’s das Internet, da stand längst überall drin, dass das ein richtiger Kackfilm geworden ist.

Ich ziehe Rotten Tomatoes schon sehr lang zu Rate, und meiner Erfahrung nach kommen gute Filme dort in der Regel mit guten Bewertungen weg, und Scheißfilme mit schlechten.

Herr Schmalzried kommt am Ende auch auf den richtigen Nenner:

“Filmfans sollten diese Bewertungen also mit Vorsicht genießen.”

Awa, echt?

“Aber was ist mit dem normalen Kinopublikum? Wenn jemand Lust hat, eine neue Comicverfilmung zu sehen, wird er sich das wohl kaum von einer Filmkritik ausreden lassen – ob in Tomatenform oder als ausgefeilten Text.

„Justice League“ ist übrigens an den Kinokassen komplett untergegangen und das hat wohl weder mit den Kritiken zu tun noch mit dem Zeitpunkt, zu dem Rotten Tomatoes sie veröffentlichte.”


Ja eben, eben, eben. So doof ist der Gregor Schmalzried nicht – jedenfalls offensichtlich nicht so doof wie David Steinitz von der Süddeutschen. Ich stolpere immer wieder über die deutschsprachige Filmkritik, kenne eigentlich gar keine lesenswerten Herren oder Damen aus dieser Gilde. Dazu sind ganz oft Spoiler enthalten –wtf.



Paleto Gaffeur
Halbdaggl
Der wird sich auf SW8 vorbereiten...ganze Filme erfordern ja doch enormes Durchhaltevermögen ggü. Trailern, selbst wenn man 5 von denen am Stück schaut. 5...6 mal anschauen, und dann isser wieder da, um uns alles zu erklären (und dafür zu sorgen, dass Du Deine Worte bereust).
Morgen läuft das 8. Evangelium an...nimmer lang :D

Ich muss schon zugeben, dass meine Begeisterung etwas abgekühlt ist: während ich Episode VII zitternd herbeigesehnt habe, frage ich mich dieses mal fast schon, ob ich vor Weihnachten überhaupt einen Termin finden mag.

Komisch, weil ich eigentlich nix einzuwenden habe gegen die kleine Star Wars-Inflation, die da stattgefunden hat: Rogue One finde ich auch toll.

Plan B
Halbdaggl
Jetzt habe ich seit gestern zum SW VIII schon diverseste Kritiken gelesen. Von einer Heiligsprechung bis hin zu einem Vollverriss. Ich werde mir lieber selbst ein Bild davon machen.
Carpe diem.

Hasenrupfer
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Grasdaggl
Ah, ich präzisiere: Rotten Tomatoes ist nicht Sturgi's, sondern Nice's go-to-site... :)

Man sollte zur Kritik auch anmerken, dass der Zündfunk allgemein sehr Anti-Mainstream unterwegs ist, was bisweilen in einer gewissen Hipsterkeit mündet.

Ich stolpere immer wieder über die deutschsprachige Filmkritik, kenne eigentlich gar keine lesenswerten Herren oder Damen aus dieser Gilde. Dazu sind ganz oft Spoiler enthalten –wtf.


Die Cinema ist immer noch eine gute Adresse, ganz ohne Spoiler versteht sich. Denn wenn man einen Film nur mit Hilfe des Endes erklären und bewerten kann, sollte man halt doch wieder in's Sportressort wechseln.

Hasenrupfer
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Grasdaggl
Im Übrigen ist die gute alte Mund-zu-Mund-Propaganda immer noch am Wirkungsvollsten, jedenfalls der Austausch mit Menschen, denen man einen guten Filmgeschmack zugesteht...

In diesem Sinne: Stranger Things - Don't believe the hype.
Hab mich jetzt durch die zweite Staffel gequält, da geht gar nix. Kein Esprit, null Originalität, man erschöpft sich in Zitaten. Gut gemacht zwar, aber langweilig.


Hasenrupfer
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Grasdaggl
Bin echt zu alt für sowas - und gleichzeitig wiederum zu jung...

Jedenfalls alt genug, um die meisten Filme, Einstellungen oder auch nur simplen Anspielungen aus Stranger Things zu kennen. Gleichzeitig überkommt mich eben kein wohliger Schauer allein wegen des Retro-Chics, viel eher erwarte ich ein Minimum an Gegenwartsbezug.

thoreau
Granadaseggl
Hasenrupfer hat geschrieben:
Die Cinema ist immer noch eine gute Adresse, ganz ohne Spoiler versteht sich. Denn wenn man einen Film nur mit Hilfe des Endes erklären und bewerten kann, sollte man halt doch wieder in's Sportressort wechseln.


Ich finde das was die Cinema mittlerweile anbietet eine ziemliche Unverschämtheit. Die Artikel sind oberflächlich und die Kritiken absolut vorhersehbar und unreflektiert. Da ist in den letzten Jahren enorm viel Qualität verloren gegangen.

Danke für die Empfehlungen, aber ich halte mich an Mark Kermode (BBC) und Peter Bradshaw (Guardian).

Hasenrupfer hat geschrieben:Im Übrigen ist die gute alte Mund-zu-Mund-Propaganda immer noch am Wirkungsvollsten, jedenfalls der Austausch mit Menschen, denen man einen guten Filmgeschmack zugesteht...


Wenn man mal ein paar tausend Rezensionen eines Kritikers gelesen oder gehört hat, hat man genau das. Dann kann man die sehr gut deuten. Der Geschmack spielt dann mit der Zeit auch eine zunehmend kleinere Rolle.

https://itunes.apple.com/us/podcast/ker ... id73802698
https://www.theguardian.com/profile/peterbradshaw

cordoba
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Rezensionen werden für mich erst dann interessant, wenn ich den Film bereits gesehen habe.
Dabei habe ich schon oft festgestellt, dass meine Perspektive eine ganz andere als die des Rezensenten ist. - Nämlich diejenige eines Amateurs: Liebhabers und nicht eines Professionals: Verdiensterarbeitenden.
Ich bin Brustringer ©

Ist mir im Spiegel oder in der Süddeutschen auch schon aufgefallen: zum Beispiel wird nach dem Baukastenprinzip ein Thema aus dem Nachrichten hergenommen, der jeweilige Film damit krampfhaft verknüpft, und anhand dessen eine tiefenpsychologische Analyse des Regisseurs vorgenommen – in dem Glauben, dass das einen Mehrwert darstellt. Oft bekommt man den Eindruck, dass der Kritiker sich damit für “höhere” Aufgaben empfehlen will. Das ist mir zuwider – Filmkritiker ist ein toller Job, mit dem man die Leute unterhalten kann. Ich finde das Genre richtig interessant.


Sehe ich auch so – ich lese die ganze Kritik nicht, bevor ich einen Film gesehen habe, der mich interessiert. Erst hinterher. Lese allerdings viele von Filmen, die ich gar nicht gucke – bzw. höre gern den BBC-Podcast.

Tifferette
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Grasdaggl
Hasenrupfer hat geschrieben:Bin echt zu alt für sowas - und gleichzeitig wiederum zu jung...

Jedenfalls alt genug, um die meisten Filme, Einstellungen oder auch nur simplen Anspielungen aus Stranger Things zu kennen. Gleichzeitig überkommt mich eben kein wohliger Schauer allein wegen des Retro-Chics, viel eher erwarte ich ein Minimum an Gegenwartsbezug.


Die haben halt keine Smartphones. #isso.
Was ich aber nicht verstehe - warum brauchen die denn ein Minimum an Gegenwartsbezug? Das spielt halt in den 80ern, und das ist nach herrschender Meinung nicht die Gegenwart.

Wenn man den 80er-Bonus mal abzieht, dann ist Stranger Things solide gemacht, aber mehr auch nicht. Mir geht dabei das Herz auf, Dir hingegen nicht. Das mag - hust - dann wirklich altersbedingt sein. Allerdings habe ich in irgendeiner Kritik den schönen Satz gelesen, dass es den Brüdern verblüffend gut gelingt zu vermitteln, dass die total albernen Probleme der kleinen Knilche halt wirklich wichtige Probleme sind. Das trifft es gut, und daher fühlt sich das Ganze auch so real an. Für meine schlicht gestrickte Seele jedenfalls. Vergangenheitsporno. :oops:
"They may be drinkers, Robin, but they are also human beings."

(Batman)

thoreau
Granadaseggl
cordoba hat geschrieben:Rezensionen werden für mich erst dann interessant, wenn ich den Film bereits gesehen habe.
Dabei habe ich schon oft festgestellt, dass meine Perspektive eine ganz andere als die des Rezensenten ist. - Nämlich diejenige eines Amateurs: Liebhabers und nicht eines Professionals: Verdiensterarbeitenden.


Das mag ich sehr bei filmstarts... diese Mischung aus Liebhabern aber journalistisch nicht völlig unbegabt. Lese die Sachen auch meistens hinterher.

Cleansman
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Granadaseggl
Hasenrupfer hat geschrieben:Ah, ich präzisiere: Rotten Tomatoes ist nicht Sturgi's, sondern Nice's go-to-site... :)

Man sollte zur Kritik auch anmerken, dass der Zündfunk allgemein sehr Anti-Mainstream unterwegs ist, was bisweilen in einer gewissen Hipsterkeit mündet.

Ich stolpere immer wieder über die deutschsprachige Filmkritik, kenne eigentlich gar keine lesenswerten Herren oder Damen aus dieser Gilde. Dazu sind ganz oft Spoiler enthalten –wtf.


Die Cinema ist immer noch eine gute Adresse, ganz ohne Spoiler versteht sich. Denn wenn man einen Film nur mit Hilfe des Endes erklären und bewerten kann, sollte man halt doch wieder in's Sportressort wechseln.


Nö, stuggi schwört auch auf die Gammeltomaten. Gehe wohl erst am Montag in SW 8.

Hasenrupfer
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Grasdaggl
thoreau hat geschrieben:
Hasenrupfer hat geschrieben:
Die Cinema ist immer noch eine gute Adresse, ganz ohne Spoiler versteht sich. Denn wenn man einen Film nur mit Hilfe des Endes erklären und bewerten kann, sollte man halt doch wieder in's Sportressort wechseln.


Ich finde das was die Cinema mittlerweile anbietet eine ziemliche Unverschämtheit. Die Artikel sind oberflächlich und die Kritiken absolut vorhersehbar und unreflektiert. Da ist in den letzten Jahren enorm viel Qualität verloren gegangen.


Ja, die Print-Ausgabe kannsch leider in die Tonne kloppen, "das Internet" hat diese Zeitschrift prinzipiell überholt. Leider.

Die Online-Rezensionen sind trotzdem ein verlässlicher Anhaltspunkt.

thoreau hat geschrieben:
cordoba hat geschrieben:Rezensionen werden für mich erst dann interessant, wenn ich den Film bereits gesehen habe.
Dabei habe ich schon oft festgestellt, dass meine Perspektive eine ganz andere als die des Rezensenten ist. - Nämlich diejenige eines Amateurs: Liebhabers und nicht eines Professionals: Verdiensterarbeitenden.


Das mag ich sehr bei filmstarts... diese Mischung aus Liebhabern aber journalistisch nicht völlig unbegabt. Lese die Sachen auch meistens hinterher.


Muss ich nachfragen: ich kenne schlechte und gute Kritiker, aber keinen, der nicht ein absoluter Filmliebhaber wäre. Ist es im deutschen Sprachraum denn üblich, dass Leute durch die Redaktionen geschoben werden, um mal ein bisschen Kulturkritik oder speziell Filmkritik zu machen, und dann weiterzuziehen? Oder seht ihr das vielleicht ein bisschen falsch und die Leute lieben zwar Kino, können aber nicht schreiben?

Paleto Gaffeur
Halbdaggl
Letzteres gilt uneingeschränkt für Serienjunkies...Schreiben können ist da extrem hinderlich, da darf nur ran, wer das nachweislich nicht kann aber dafür ein unangemessen enges Verhältnis zu den Figuren der Serien hat.
Sowas wie GoT a la NYT gibt's da nicht.