Joe Biden schaut aus wie ein furchtbarer Kompromiss, ist er wahrscheinlich auch. Er steht genau wie Hillary Clinton vor vier Jahren für Stillstand, und ich habe eine Weile gebraucht, um zu kapieren, wieso der jetzt Kandidat ist.
Eine Antwort wäre, dass sie niemand besseres haben – stimmt meiner Meinung nach nicht, ich fand Elizabeth Warren zum Beispiel persönlich wählbarer. Bernie Sanders wäre ein Knaller gewesen, aber der würde die Wahl nicht gewinnen. Ich gehe aber davon aus, dass sie gerne eine zwanzig Jahre jüngere Version von Biden in den Startlöchern hätten. Gibt’s aber nicht, also muss Onkel Joe ran.
Die USA werden schon seit langer Zeit von wesentlich schlaueren Leuten als mir als Einparteiensystem beschimpft, und das erklärt sowohl das Abrutschen in die gegenwärtige Situation als auch die Lösung, die jetzt mit Biden vorgeschlagen wird.
Strategisch betrachtet (wenn man mal ausklammert, dass die nicht von der Parteispitze bestimmt, sondern von der Basis gewählt werden) ist Joe Biden Kandidat, um von republikanischen Wählern gewählt zu werden. Ich dachte vor vier Jahren schon, dass Hillary eine Kandidatin sei, an der Republikaner jede Menge Gefallen finden würden – für mich war sie eigentlich sogar fast perfekt für konservative Wähler, mit eine paar Ausnahme-Themen wie Abtreibung etc. – aber es hat nicht geklappt. War allerdings knapp.
Obama hat seinerzeit unter anderem gewonnen, indem er die Republikaner bei manchen Themen rechts überholt hat, und dafür hatte er auch Biden als Running Mate ausgewählt. Was natürlich auch heißt, dass man jetzt eine aufgewärmte Beilage des Hauptgerichts von 2008 und 2012 vorgesetzt kriegt: brrr. Als Amerikaner würde ich jedoch auch eine nasse Papiertüte wählen, weil Trump die Alternative ist. Ist ja klar.
Die Sozis, wenn man sie so nennen will, sind so gespalten wie in einigen anderen Ländern auch: ein Teil der Basis will endlich mal Fortschritt und Veränderungen sehen, ein anderer Teil hat Angst vor Veränderungen. Ich kann mir vorstellen, dass viele Demokraten gerne einen Kandidaten mit mehr Schmackes hinstellen würden, aber um irgendwas verändern zu können, musst du unbedingt und unausweichlich erstmal die Wahl gewinnen. Dazu reichen die Stimmen der jungen Progressiven nicht aus, man braucht ein paar mehr.
Zumal in den USA viele junge Progressive überhaupt nicht zur Basis der Demokraten gehören – die haben Hillary schon ihre Stimme verweigert, und würden einen fortschrittlicheren Kandidaten als Biden eventuell auch nicht “guten Gewissens” wählen. Einige sind total versaut von Obama: der war trotz einiger Kritik nämlich jemand, den man tatsächlich unterstützen konnte – und viele jüngere wollen einen Kandidaten sehen, hinter den sie sich stellen können: die wollen für jemanden stimmen, nicht gegen jemanden. Ist ja auch richtig, das haben zu wollen, nur kriegt man es selten. In einer Demokratie ist es nicht ungewöhnlich, sein Leben lang das kleinere Übel wählen zu müssen. Frustrierend, aber Standard. Es gibt in den USA viele Leute um die Dreißig, die dieses Gefühl nicht kennen: die durften zweimal ihre Hoffnung in Obama setzen, hielten Hillary für eine Kapitulation der Demokraten und gingen nicht wählen, und sind jetzt immer noch bzw. wieder narret.
Diese Leute haben ein super Argument: die tweeten immer ein Video von James Baldwin aus den frühen Achtzigern, in dem er wie viele andere vor ihm gefragt wird, warum er so pressiert mit den Forderungen nach Verbesserungen. Seine Antwort ist natürlich, dass ihm sein Leben lang erzählt wurde er solle dem politischen Prozess vertrauen und abwarten, und er sagt er sei jetzt fast 60: “Wieviel Zeit wollt ihr noch für euren Fortschritt?”
Die Antwort lautet dieses Mal aber “Noch mindestens vier Jahre”. Dort ist die Demokratie in Gefahr – ganz abgesehen davon, dass die auch Feinde haben, die gerade sehen, wie man diese Supermacht mit einem Virus in die Knie zwingen kann, weil die politische Führung zu korrupt und ein großer Teil der Bevölkerung zu dumm ist, sich davor zu schützen. Mein lieber Schwan.
Langer Rede kurzer Sinn: Angela Davis hat unlängst in einem Interview eine Wahlempfehlung für Joe Biden rausgegeben.