Soodale Frank
Vorweg,
ich erinnere mich gerne an eine Diskussion mit Dir über das Jahr 1968 mit dem Prager Frühling 1969 und über die Bedeutung des ÖR im Allgemeinen und die Nichtbedeutung des Privatfernsehens für mich persönlich. Ich habe Dich als sehr neugierigen Mituser in Erinnerung, dem die Erinnerung eines Zeitzeugen besonders wichtig war.
Daher konnte ich Deinen Unmut über einen Post von mir für „Auswurf“ nicht so recht verstehen. Unmut erzeugt oft Gegenunmut. Aber wir haben uns kurz ausgesprochen. Du bist nicht nachtragend, ich auch nicht, so dass wir uns damit nicht weiter befassen müssen.
Zum Inhaltlichen:
Ich will hier keine "Mehrheiten" erzeugen, Uwe, aber diese Einstellung, die Du in Diskussionen immer wieder zeigst, kann ich mit deiner sonstigen Lebensweisheit und Reife irgendwie nicht unter einen Hut bekommen.
Ich kann, da Du nicht konkret geworden bist, nur spekulieren. Am besten gibst Du mir dazu einige Beispiele, dann kann ich es besser verstehen. Wenn man zu vielen Themen, die einen interessieren – und wir haben hier ein Forum, in dem man wirklich über „Gott und die Welt“ diskutieren kann - seine Ansicht äußert, kommt man schon mal „oberlehrerhaft“ rüber. Den Ruf habe ich hier weg, aber eigentlich liegt mir diese Rolle überhaupt nicht. Wenn etwas, was von mir als aufklärerisch gedacht ist, als „schlaumeierisch“ empfunden wird, kannst Du mir das gerne sagen. Mangelnde Selbstkritik gehört nicht zu meinen Schwachstellen.
Ich hatte Dir neulich schon was dazu geschrieben, als es um "Rechte" oder Nazis ging. Ich will das jetzt wirklich nicht aufwärmen. Ich glaube aber, dass es offensichtlich ist, dass es so etwas wie eine rechte oder linke DNA nicht gibt (Du hast das damals von der Erziehung der Eltern mit abgeleitet, wohin jemand politisch umfällt).
Da habe ich mich nicht klar, nicht hinreichend oder für Dich nicht verständlich genug ausgedrückt.
Es ging mir darum, aufzuzeigen, dass die Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen, die der Großteil der Gesellschaft als in höchstem Maße undemokratisch bezeichnet, nur teilweise mit dem Zustand der Gesellschaft zu tun haben. Sie sind tradiert, sie haben ihren Ursprung im 19. Jahrhundert, führten unter den Nazis zu einem verbrecherischen Weltkrieg, haben die Katastrophe der Niederlage überdauert, in der im Entstehen begriffenen Bundesrepublik, wie eine verkapselte Krankheit mit gelegentlichen Ausbrüchen (ich hatte es an den verschiedenen rechtsradikalen Parteien und ihren gelegentlichen bescheidenen Erfolgen festgemacht) und sind jetzt durch die Flüchtlingswellen und Migrantenbewegungen en vogue für Wähler, die früher bei den etablierten Parteien ihr Kreuzchen gemacht haben oder am Wahltag zu Hause geblieben sind. Du kannst das von mir aus gerne DNA nennen, wenn wir darunter dasselbe verstehen. Natürlich haben all die Nazis, die in der CDU/CSU, FDP und den Nachkriegssplitterparteien plötzlich zu Demokraten geworden sind, ihre Kinder nicht antiautoritär erzogen, wenn Du mir das Bonmot gestattest.
Selbstverständlich trägt auch das persönliche Schicksal dazu bei, rechten Parolen anzuhängen, insofern ist Deine Hypothese nicht abwegig, aber sie erklärt für mich, subjektiv gesehen, nur einen Teil der Motivation, die AfD zu wählen. Und ich wiederhole meine These, dass wir mit einem Prozentsatz von 10-15% Wählern ausgehen müssen, die das Gedankengut, das der „Flügel“ der AfD verbreitet, aufgesogen haben. Die bekommst Du aber nicht dazu, eine der anderen Parteien zu wählen. Über die Besonderheiten der ostdeutschen Wähler, Stichwort „Pegida“ und „Flügel“ ist hier schon diskutiert worden.
Du hast mich gefragt, ob ich einen Juden persönlich kenne. Die Antwort, die Dir „Monitor“ dazu gegeben hat, teile ich. Auch ich kenne keinen Juden persönlich. Aber ich halte mich für einen Philosemiten, der allergrößte Achtung vor dem hat, was Juden in wissenschaftlicher und künstlerischer Hinsicht geschaffen haben. Und was das Schicksal der Juden über die Jahrhunderte betrifft, muss man nur etwas in Geschichte bewandert sein, um die fürchterlichen Greuel, die ihnen im Namen des christlichen Gottes angetan worden sind, zu verabscheuen.
Zum Begriff der „linken Wähler“:
„Auswurf“ hat in einem Post seine Verwunderung geäußert, wie es denn kommen konnte, dass plötzlich linke Wähler in Scharen zur AfD übergelaufen sind. Übrigens waren es wohl mehr rechte Wähler, die diesen Schritt vollzogen haben. Ich habe den Begriff „linker Wähler“ konkretisiert und er hat verstanden, wie ich das gemeint habe. Das war eigentlich alles. Weiter will ich mich jetzt nicht über „links“ und „rechts“ auslassen. Vielleicht so viel, redrum hat natürlich recht, wenn er die Begriffe auf ihren Ursprung zurückführt. Ich sehe sie mehr so, wie sie zur Zeit in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden.
Ich schreibe Dir das vor allem deshalb, weil ich dir mal mein natürlich hochsubjektives Feedback dazu geben will, dass sich das bei Dir manchmal liest, wie ein krampfhaftes Festhalten an einem viel zu einfachen Gut-Böse-Schema. So, als wären wir nicht alle moralisch sehr ambivalent und der größte Teil der Toleranz müsste dafür gespendet werden, die Ambivalenz der Anderen auszuhalten....
Ich ergänze, nicht nur Gut-Böse, sondern Oben-Unten. Ich glaube, ich habe hier schon mal berichtet, welche Kämpfe wir gegen den Arbeitgeber führen mussten, um unseren sozialen Besitzstand zu erhalten. Hätten wir nicht gekämpft, hätte ich jetzt annähernd ein Viertel weniger Rente. Und nein, das Unternehmen ist nicht, wie von den interessengeleiteten Finanzspezialisten verkündet, untergegangen, sondern steht besser da, als zuvor. Da kommst Du automatisch in eine gegnerbezogene Position. Ich werfe den Arbeitgebern nichts vor, sie haben ihre Arbeit gemacht, wir die unsere. Möglich, dass es noch nachhaftet. Aber glaube mir, wenn Du mich persönlich kennen würdest, würdest Du vielleicht bestätigen, dass ich ein völlig ausgeglichener Mensch bin, ohne Neidkomplexe. Aber würdest Du Dir von Deinem Chef ohne Gegenwehr in die Tasche greifen lassen? Ich bin auch nicht ideologisch verfestigt. Man kann mit mir über viel diskutieren, weil ich einfach ein neugieriger Mensch bin und gerne andere Menschen zuhöre und sie verstehen möchte.
Nochmal einen Versuch: Wie ordnest Du denn Leute wie Horst Mahler ein? Würdest Du dem auch unterstellen wollen, er sei nie Links gewesen? Ganz anderer Fall: Harald Martenstein... gilt jetzt einigen als AfD-Claqueur?
Zu Mahler hat mir redrum die Antwort vorweggenommen. Er war früher ein linker Spinner und ist jetzt ein rechter. Zum Glück gibt es nicht so viele, als dass sie meine Hypothese über den Haufen werfen könnten.
Harald Martenstein war für mich bislang ein unbeschriebenes Blatt . Habe jetzt mal eben in Wikipedia nachgelesen. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat er sich beim Genderthema aus dem Fenster gelehnt und kräftigen Gegenwind bekommen. Das schmälert in meinen Augen aber nicht seine Lebensleistung. Richard Wagner war auch nicht etwa deswegen ein schlechter Komponist, weil er ein schlimmer Antisemit und Ehebrecher war. Er hat großartige Musik geschrieben, aber menschlich war er halt ein aufgeblasenes Arschloch. Dem armen Ludwig II hat er Liebesbriefe geschrieben und ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Verdi hingegen war ein großer Komponist und ein großartiger Mensch, der nie verleugnet hat, woher er stammte. Das sind Menschen, vor denen ich Hochachtung habe. Könnte Dir noch eine ganze Reihe anderer Namen nennen, aber, das würde jetzt zu weit führen.
Noch viel wichtiger: Ein Mensch, in seiner unvorstellbaren Komplexität, ist doch nicht entweder Nazi oder Nicht-Nazi, Links oder Rechts? Zu 99,99999 Prozent ist jeder von uns durch ganz andere Dinge definiert, als seine mehr oder weniger wechselhaften politischen Ansichten.
Das sehe ich wieder mal ganz anders, als Du.
Auf was genau bist Du denn stolz (ich frage das wirklich nicht, um dich blöd anzumachen!), wenn Du schreibst, dass Du Dinge noch unterscheiden kannst? Welche Dinge?
Ich bin stolz darauf, dass ich meinen Weg gerade gegangen bin, mich nie verbogen habe und auch nicht verbiegen ließ, dass ich eine wunderbare Frau, zwei großartige Töchter und vier fröhliche Enkelkinder habe, die ihren Weg gehen werden. Ich bin stolz darauf, dass ich erkennen kann, was gut für mich ist und was nicht. Wenn man im letzten Lebensabschnitt ist, relativiert sich ja einiges und man wird gelassener.
Ich muss Dir doch nicht erklären, wie nahe sich Nationaler Sozialismus und Nationalsozialismus sind. Ich meine jetzt natürlich nicht alliterativ, sondern inhaltlich.
Doch, das müsstest Du mir erklären.