Tifferette hat geschrieben:@UWe: Zur NZZ finde ich das hier ganz interessant.
https://www.zeit.de/2020/13/neue-zuerch ... rnheit-afdDas trifft ziemlich genau meine Wahrnehmung. In internationalen Sachverhalten meist sehr nüchtern und ausgewogen, das lese ich häufig mit Gewinn. Auf Deutschland bezogen (aus dem Berliner Büro kommend) hingegen meist schrill. Interessant inbesondere das mit der eigens für den deutschen Markt zusammengestellten Seite.
Man muss sich das mal andersrum vorstellen: Da kommt eine deutsche Zeitung in die Schweiz oder nach Österreich, nach Frankreich gar, und erklärt den Nachbarn, was bei ihnen alles falsch läuft. Sie würde wegen Selbstgefälligkeit und Arroganz verlacht oder gleich verjagt werden. (Die ZEIT musste sich das zu Beginn ihrer Österreich- und Schweiz-Expansion immer mal wieder anhören.)
Nicht ganz von der Hand zu weisen.
Wie gut, dass wir die gute alte Tante ZEIT noch haben.
Ich ergänze Deinen Digest noch ein wenig durch die Passagen, die ich für bemerkenswert halte:
An einem Freitagnachmittag sitzt Marc Felix Serrao in einem Café im Berliner Regierungsviertel und versucht zu erklären, was er da macht. Serrao leitet das Berliner NZZ-Büro seit 2017. Er ist 42 Jahre alt, Deutscher, hat lange bei der Süddeutschen Zeitung gearbeitet und dann bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, er hat in Berlin Politik studiert und in Köln eine Journalistenschule besucht. Viel mehr betriebstypische deutsche Medienbiografie geht nicht. Jetzt aber bewegt sich Serrao mit seiner Mannschaft hart am Rand dieses Betriebes. Er spottet in seinen Kommentaren über die "anbiedernden Lobhudeleien" vieler deutscher Journalisten für Bundeskanzlerin Angela Merkel, beklagt ein "politisch-mediales Trommelfeuer" von linksgrüner und bürgerlicher Presse und findet es überhaupt oft betonenswert, dass sich alle anderen vermeintlich einig sind – was es dann umso wertvoller erscheinen lässt, wenn er und seine Kollegen anderer Meinung sind. Und das sind sie oft.
Von Frauenquoten halten sie ebenso wenig wie vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland, und den Umgang mit der AfD finden sie übertrieben alarmistisch. Die meisten dieser Texte erscheinen nicht in der gedruckten NZZ, sondern online. Auf einer eigens für die deutschen Leser zusammengestellten Homepage.
Aber genau das bestreiten viele Kollegen in Zürich. Dort heißt es, die Zusammenarbeit mit den Berlinern sei professionell, aber belastet. "Die passen nicht zu unserem Stil", sagt einer. "Ich kann es nicht ab, wenn man sich dümmer stellt, als man ist", kritisiert ein Zweiter. Ein Dritter ärgert sich über den "schreierischen" Ton. Den Schweizern sind die Berliner Kollegen zu aggressiv, zu deutsch.
Abgewehrt werde das, heißt es in Zürich, von der Chefredaktion mit dem Hinweis auf die NZZ-eigene Meinungsvielfalt und damit, dass es den Lesern ja gefällt. Im gesamten Monat Februar wurden nur drei andere Online-Artikel mehr gelesen als der Thüringen-Kommentar. Bemerkenswert für ein Schweizer Medium, für das Deutschland nur ein Nebenmarkt ist.
Fragt man Berliner Abgeordnete und Hauptstadtjournalisten, wie wichtig die deutsche NZZ für sie ist, hört man am häufigsten: Eigentlich lese ich die nicht. In die meisten Pressespiegel hat es die Schweizer Zeitung noch nicht geschafft, und selbst der FDP-Abgeordnete Oliver Luksic, der "oft erfrischend und angenehm sachlich" findet, was die NZZ so schreibt, besucht deren Website fast nie.
Die AfD trägt das Ihrige dazu bei.
Beatrix von Storch empfahl deutschen Journalisten ein Volontariat bei den Schweizern: "Auf! Bewerben! Ein bisschen Grundkenntnisse können nicht schaden!" Der Thüringen-Kommentar wurde bei Facebook mit am erfolgreichsten verbreitet von AfD-Abgeordneten, darunter Björn Höcke.
Michael Klonovsky, ein Focus-Journalist, über den Serrao 2013 in einer Laudatio schwärmte, er kenne keinen deutschen Journalisten, der "so rücksichtslos gegen den herrschenden Ton und gleichzeitig so schön" schreibe. Heute ist Klonovsky Berater und Redenschreiber des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland.
Oder Akif Pirinçci. Über dessen Buch Deutschland von Sinnen schrieb Serrao im Jahr 2014: "Man ist hier und da hingerissen von der Rücksichtslosigkeit in der Analyse und den vielen wilden Ideen." Pirinçci wurde 2015 wegen Volksverhetzung verurteilt. Serrao sagt, er habe Pirinçci damals als "einen zerrissenen Menschen erlebt", und so habe er ihn auch beschrieben.
Jüngster Fall: Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident. Den verteidigte Serrao als einen "der Ersten, die den politischen Betrieb vor den Folgen der unkontrollierten Masseneinwanderung gewarnt haben".
Mittlerweile sagt Maaßen über die NZZ, wie schon AfD-Fraktionschef Gauland, diese sei für ihn "wie Westfernsehen", eine Anspielung auf die Rolle westdeutscher Sender in der DDR. Und wieder muss Serrao sich verwahren, er nennt das Etikett "ermüdend und hanebüchen".
Offensichtlich ist dieser Rechtsschwenk von den Eignern der Gazette gewollt. Würde mich nicht wundern, wenn sie über Strohmänner die Partei auch noch sponsern würden.