Ihr glaubt wirklich, ihr seid keine Rassisten?
Wenn Fussballspieler als Affen verunglimpft werden, schreit jeder: «Rassismus!» Schlimmer ist aber die fast schon gut gemeinte Diskriminierung von Menschen anderer Hautfarbe.
Bettina Schulz, London
17.07.2021, 21.45 Uhr
Der naive Rassismus ist ebenso beleidigend wie der offene Rassismus.
Der naive Rassismus ist ebenso beleidigend wie der offene Rassismus.
Getty
Unsere Gesellschaft ist nicht rassistisch. Das jedenfalls glauben wir hier in Europa. Wenn Schwarze als Bastarde beschimpft werden, wie es sich die Fussballer Marcus Rashford, Bukayo Saka und Jadon Sancho von der englischen Nationalmannschaft gerade anhören mussten, dann kann dies nur eine Minderheit sein.
Wir verschicken keine Hass-E-Mails mit Affen-Emojis. Das tun nur die Übeltäter, die die britische Polizei wegen ihrer Hasstiraden festgenommen hat. Schön wäre es. Ich – als Mutter zweier aus Indien adoptierter Töchter – muss leider etwas anderes berichten.
Wir sind eine rassistische Gesellschaft. Dabei geht es nicht nur um den offenen, aggressiven Rassismus gegenüber unseren Mitbürgern anderer Herkunft und anderen Aussehens. Ebenso beleidigend ist der naive Rassismus, mit dem Mitbürger immer wieder an ihr unterschiedliches Aussehen erinnert und deshalb anders behandelt, abgegrenzt und ausgegrenzt werden.
Rassismus erlebte ich mit meinen Töchtern schon auf dem Spielplatz – egal, wo wir wohnten, in Frankfurt, in London und in New York. «Braun wie Scheisse», «pooface» und «brown baby go away» waren Worte, die sich meine Mädchen anhören mussten. Natürlich kam das nicht oft vor.
Es gibt auch nicht viele Eltern wie den deutschen Zahnarzt, der den Lehrern der Internationalen Schule in Frankfurt sagte: «Mein Sohn muss sich von einem schwarzen Lehrer nichts sagen lassen.» Die meisten erziehen ihre Kinder doch zu toleranten Menschen.
Wir erlebten es auch nur einmal, dass ein Fluggast am Flughafen von Sylt meine Tochter anstarrte und zu seiner Frau sagte: «Guck dir die mal an. Die hat ja so schwarze Augen, als ob sie einen gleich auffressen wollte.» Betretenes Schweigen der anderen Passagiere. Die Augen meiner Tochter wurden nur noch grösser.
Wir haben es auch nur einmal erlebt, dass ich in einem Schreibwarengeschäft in Bad Soden aufschreckte, weil der Verkäufer meine Tochter anschrie, sie sei eine Diebin: «Die klaut! Ich sehe das doch. Die hat Stifte in ihrer Hand. Diese Göre . . .» Dabei stand meine Tochter an der Kasse und wartete auf mich, um zu zahlen. Nein – sie war kein Zigeuner-Mädchen, um gleich noch ein rassistisches Vorurteil zu benutzen.
Aber ruhig Blut. In anderen Läden sind die Leute netter. Manchmal versuchen sie, ganz besonders freundlich zu sein. «Du hast ja so schöne schwarze Haare – du siehst ja aus wie meine Puppe früher», sagt die Verkäuferin in einer Drogerie in Essen. «Du bist ja so schön braun. Ich muss unter die Sonnenbank gehen, wenn ich so aussehen will», lächelt eine andere Verkäuferin in Kettwig. Viele Deutsche versuchen aus Höflichkeit, gleich Englisch mit meinen Töchtern zu reden, obwohl die fliessend Deutsch sprechen und die Jüngere in Deutschland studiert.
Aber es ist ja auch nicht einfach mit all diesen Ausländern. Da will meine Tochter in München ein Paket von der Nachbarin abholen, und sie sagt: «Du redest aber gut Deutsch.» Worauf meine Tochter erklärt: «Ich bin ja Deutsche.» Darauf kommt prompt die Antwort: «Du siehst aber nicht so aus.» Darauf meine Tochter hilfsbereit: «Ich komme aus Indien. Ich bin adoptiert.» Darauf die Nachbarin: «Na, da hast du aber Glück gehabt.»
Die meisten Leute meinen es ja auch nicht so. Wie der Kinderarzt in Frankfurt, der meine Tochter untersuchte und sie fragte: «Was hat denn die Mama mit dir gemacht, dass du so dunkel bist? Hat sie dich mit Himbeersauce eingerieben?» Meine Tochter lacht und sagt: «Nein.» Und der Arzt treibt das Spielchen weiter: «Hat sie dich mit Schokolade eingerieben? Oder mit Kohle?» Er meint es nicht so, ist ja eigentlich ein lieber Arzt.
Die Jugendlichen, die meine Töchter im Robinson-Club in Frankreich kennenlernen, sagen auch einfach nur, was sie denken. Zum Beispiel, dass sich der nette Junge mit Sicherheit nicht für meine Tochter interessieren wird. «Du bist doch schwarz. Das kannst du vergessen.» Heute hat meine Tochter einen Freund – einen Holländer. Aber nicht alle Jungen sind so mutig. Und als Vater muss man besonders mutig sein.
Gehen Sie mal als erwachsener Mann mit einem dunklen Mädchen in ein Restaurant und achten dann auf die Blicke und hören auf die Bemerkungen. Aber Schwamm drüber. Das gehört halt dazu. Und auch, dass meine Töchter mit ihren jüngeren, weissen Halbbrüdern oft als Nannys angesprochen werden. Kann man ja nicht wissen, dass es Familie ist.
Die Jugendlichen, die meinen Töchtern erklären, dass sie nicht deutsch sein können, weil sie nicht in Deutschland geboren seien, meinen das auch nicht rassistisch. Sie denken halt nur wie die Fussballfans, die denken, dass Marcus Rashford nicht englisch sein kann, weil er schwarz ist.
Traurig ist, dass sich meine Töchter an einen gewissen Rassismus gewöhnt haben. Oft stehe ich «unerkannt» hinter meinen Töchtern und höre, wie sie in der Öffentlichkeit behandelt werden. Wenn ich mich dann als Mutter zu erkennen gebe, ändert sich der Ton sofort. In Deutschland ist es deutlicher als in England.
Aber ich darf mich nicht beschweren. Meine Töchter sind Mädchen, kommen glänzend zurecht, egal ob in der Schule, in der Uni oder bei Praktika. Ein schwarzer Junge hat da mit ganz anderen Dingen zu kämpfen. Ein nigerianischer Junge lebt gerade bei mir, weil ich ein Zimmer an seine Mutter vermiete. Wenn er an den Zebrastreifen geht, halten die Autos nicht einmal. Sicherlich bilde ich mir nur ein, dass die Leute auch einen grösseren Bogen um mich machen, wenn ich mit ihm unterwegs bin.
Ich bringe meinen Mädchen bei, nicht überall Rassismus zu sehen. Meine Tochter kam anfangs aus der Schule und beschwerte sich: «Die Lehrerin mag mich nicht, weil ich braun bin. Die hat mit mir geschimpft.» Meine Antwort: «Ich habe dir seit zwei Tagen gesagt, du sollst die Hausaufgaben machen. Du hast es nicht getan. Deshalb ist die Lehrerin sauer. Nicht weil du braun, schwarz, grün oder weiss bist.» Das Thema war erledigt.
Es ist nicht leicht, mit Rassismus umzugehen. Weisse merken nicht, was den Betroffenen zugemutet wird. Die nigerianische Mutter bewirbt sich seit Monaten als Mitarbeiterin in Personalabteilungen. Die Telefoninterviews klappen gut. Aber wenn das Videogespräch folgt, hört sie stets die gleiche freundliche Absage: Sie sei überqualifiziert. Sie gibt nicht auf. Ihrem Jungen erklärt sie: «Weisse Leute, die dich angreifen, haben Angst. Die sind wie krank. Du bist in dem Moment der Stärkere. Da musst du freundlich und lieb sein und denen helfen.» Und er ist wirklich ganz lieb.
Rassismus steckt tief in unserer Gesellschaft. Grossbritannien hat das erkannt und diskutiert darüber. Auf dem Kontinent tut man das nicht.
Danke Iron.
Der Artikel war über eine social media Plattform frei zugänglich. Sollte ich gegen irgendein copyright verstoßen, dann nehme ich die quote natürlich wieder raus.