Generell:
Kein vernünftiger Mensch würde in Abrede stellen, daß es nicht nur Kriminalität allgemein, sondern auch Wirtschaftskriminalität im speziellen gibt, auch in Deutschland. Daß es hierzulande aber "tonnenweise" mehr Kriminalität gibt als früher, halte ich nicht nur für ein Gerücht sondern vor allem für unbeweisbar, insbesondere da sich die Rechtslage in der Vergangenheit ja zum Teil massiv verändert hat. Gleiches gilt natürlich auch für jedweden internationalen Vergleich, wobei ich nach wie vor der Überzeugung bin, daß es hierzulande nicht dieses Ausmaß an Schmiergeldzahlungen gibt, die anderswo absolut die Regel sind. Ich glaube auch kaum, daß diese Praktiken anderswo so behandelt werden wie bei uns, insofern wäre da ein Zahlenvergleich ohnehin irreführend.
Auch wenn man in seinem eigenen Beruf mit solchen Vorkommnissen zu tun hat, sollte das nicht dazu führen, auf die Allgemeinheit der "Unternehmen in Deutschland" zu schließen.
Aber zurück zu Wirecard:
Tifferette hat geschrieben: AxelKruse_FG hat geschrieben:
Wenn es stimmt, daß tatsächlich Belege bewußt gefälscht wurden, heißt das auch nicht, daß das ganze Unternehmen kriminell ist, nur weil es einige Mitarbeiter sind.
Das heißt es ganz häufig sehr wohl.* Einzelne Mitarbeiter können nur begrenzt Schaden anrichten. Für Dinger wie bei VW und Co und jetzt bei Wirecard müssen es entweder eine ganze Menge Mitarbeiter sein oder aber einige Mitarbeiter in hohen Führungspositionen, die das decken (und dann wird das dem Unternehmen ohnehin zugerechnet). In beiden Fällen ist das klares Complianceversagen. Das hat auch viel mit Unternehmenskultur zu tun, und die ändert man nicht von heute auf morgen.
* Edit: Es heißt natürlich nicht, dass jeder einzelne Mitarbeiter kriminell ist, aber das sollte sich von selbst verstehen.
Jetzt geht es aber genau nicht um irgendein diffuses "häufig", woher auch immer man schon wieder solche Wertungen glaubt vornehmen zu können, sondern um exakt diesen Fall.
Daß wirecard von vorn herein als ein betrügerisches Unternehmen gegründet wurde, halte ich für ausgeschlossen (da in diesem Thread Flowtex schon erwähnt wurde: Das war dort sicher anders), allein schon weil sie ein funktionierendes Produkt haben, das auch gefragt ist und es ja funktonierende Kundenbeziehungen gibt bzw. gab. Weiterhin würde wohl niemand, dessen einzige Absicht besteht, die Leute abzuzocken, einen solchen Gang in die Öffentlichkeit wagen, wie er mit einer Börsennotierung verbunden ist, und sich dazu noch mit einer Aufnahme in den Dax sogar ins internationale Rampenlicht stellen.
Das stärkste Argument aber, das gegen eine geplante betrügerische Manipulation spricht, ist die Tatsache, daß die einzigen, die geschädigt sind, die Eigentümer selbst sind. Der bisherige Cheff Braun war mit 7% an seinem Unternehmen beteiligt und hat durch diese Geschichte mal zumindest einen dreistelligen Millionenbetrag (!) verloren. Ohne die Aktionärsstruktur in der Vergangenheit genauer zu kennen, würde ich annehmen, daß es keine einzige Privatperson gibt, die einen höheren Anteil am Unternehmen hatte, sprich, es gibt niemanden, der mehr Geld verloren hat, als Braun selbst. Man hat zwar schon Pferde kotzen sehen, aber daß der sich selbst betrügt...
Eher glaube ich Stand jetzt, daß der Kern des Betruges im asiatischen Geschäftsumfeld, vor allem bei diesem verschwundenen Treuhänder zu suchen ist und daß die Geschäftleitung in Deutschland es tatsächlich nicht geblickt hat, wie sie über den Tisch gezogen wurde. Ins Blaue hinein vermute ich, daß dieser sogenannte "Third Party"- Umsatz mit Provisionszahlungen verbunden war, was die Ursache für die gefälschten Zahlungen sein könnte.
Daß die Prüfer anscheinend ebenfalls nicht aufmerksam geworden sind, ja gut, schlecht für die und die Firma, Auftragspflichten nicht erfüllt und so, Regreß, alles klar. Aber es sind nicht sie, die diese Gaunerei zu verantworten haben.
Da kommt mir diese Doku über diesen privaten Kindergarten in Minga in den Sinn und wie der Leiter die ganzen wohlhabenden studierten Akademiker (Stichwort Schwarmintelligenz!) an der Nase herumgeführt hat wie die Tanzbären im Zirkus und denen ein paar 100.000€ aus dem Kreuz geleiert hat.
Darf niemals passieren? Passiert aber doch. Gegen menschlichen Einfallsreichtum und gegen Gutgläubigkeit ist noch kein Kraut gewachsen. Wer wissen will, wie und warum so was geht, sollte sich das unbedingt anschauen. Ungeheuer lehrreich!