94 Beiträge



Cleansman
Benutzeravatar
Granadaseggl
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!

Johann Wolfgang von Goethe (in „Faust“ I)

Monitor
Benutzeravatar
Granadaseggl
At last the secret is out,
as it always must come in the end,
the delicius story is ripe to tell
to tell to the intimate friend;
over the tea-cups and into the square
the tongues has its desire;
still waters run deep, my dear,
there's never smoke without fire.

Behind the corpse in the reservoir,
behind the ghost on the links,
behind the lady who dances
and the man who madly drinks,
under the look of fatigue
the attack of migraine and the sigh
there is always another story,
there is more than meets the eye.

For the clear voice suddently singing,
high up in the convent wall,
the scent of the elder bushes,
the sporting prints in the hall,
the croquet matches in summer,
the handshake, the cough, the kiss,
there is always a wicked secret,
a private reason for this.

W.H. Auden

Das Geheimnis ist endlich gelüftet, so ist es doch immer am End
Schon giert der engste Busenfreund, der das Skandälchen noch nicht kennt;
Die Zunge weiß kein Halten, sei's in Salon (Seggl Forum) oder Scheuer;
Stille Wasser sind tief, mein Freund, und kein Rauch ohne Feuer. :nod:


Hinter der Leiche im Brunnen und dem Geist, der nächtens singt,
Hinter der lustigen Witwe und dem Mann, der zuviel trinkt,
Hinter den pochenden Kopfschmerz,
dem Seuzfer, dem müden Gesicht
Liegt immer noch etwas verborgen :shock: , und es scheut
wie der Teufel das Licht.


Sei's nur ein silberhelles Kichern, das im Konvent erschallt,
Sei's der Duft von Heckenrosen, das Picknick im
Wald.
Die Bilder an der Wand, der Handschlag, das Räuspern, der Kuss,

Immer gibt es ein dunkles Geheimnis :roll: , das offenbart
werden muss.
I could write several novels about what I do not know.


Cleansman
Benutzeravatar
Granadaseggl
LEAR.

Heult, heult, heult, heult! O ihr seid all' von Stein!

Hätt' ich eu'r Aug' und Zunge nur, mein Jammer

Sprengte des Himmels Wölbung! – Hin auf immer!

Ich weiß, wenn einer tot und wenn er lebt:

Tot wie die Erde! Gebt 'nen Spiegel her;

Und wenn ihr Hauch die Fläche trübt und streift,

Dann lebt sie.

KENT.

Ist dies das verheißne Ende?

EDGAR.

Sind's Bilder jenes Grau'ns?

ALBANIEN.

Brich, Welt, vergeh! –

LEAR.

Die Feder regte sich, sie lebt! Oh, lebt sie,

So ist's ein Glück, das allen Kummer tilgt,

Den ich jemals gefühlt.

KENT knieend.

O teurer Herr! –

LEAR.

Fort, sag' ich dir!

EDGAR.

's ist Kent, Eu'r edler Freund.

LEAR.

Fluch über euch, Verräter, Mörder, all'! –

Ich konnt' sie retten; nun dahin auf immer!

Cordelia, Cordelial Wart' ein wenig, ha!

Was sprachst du? – Ihre Stimme war stets sanft,

Zärtlich und mild; ein köstlich Ding an Frau'n. –

Ich schlug den Sklaven tot, der dich gehängt.

KENT.

's ist wahr, Mylord, er tat's.

LEAR.

Tat ich's nicht, Bursch?

Einst war die Zeit, wo sie mein gutes Schwert

Wohl hätte springen machen. Nun bin ich alt,

Und all dies Leid bringt mich herab. – Wer bist du?

Mein Aug' ist nicht das beste; ich weiß es gleich. –

KENT.

Rühmt sich Fortuna zweier, die sie liebte

Und haßte, – einen sehn wir hier.

LEAR.

O wunderbarer Anblick! – Bist du nicht Kent?

KENT.

Ich bin dein Diener Kent; doch wo ist Cajus? –

LEAR.

Das ist ein wackrer, treuer Bursch, das glaubt mir;

Der schlägt und säumt nicht. – Er ist tot und fault.

KENT.

Nein, teurer Fürst; ich selber bin der Mann.

LEAR.

Das will ich sehn! –

KENT.

Der gleich seit Eurem Abweg und Verfall

Folgt' Eurer finstern Bahn.

LEAR.

Willkommen hier!

KENT.

Nein, keiner wohl! – trüb alles, tot und trostlos! –

Eure ältern Töchter legten Hand an sich

Und starben in Verzweiflung.

LEAR.

Ja, das denk' ich.

ALBANIEN.

Er weiß nicht, was er sagt; es ist vergeblich,

Daß wir uns ihm verständ'gen.

EDGAR.

Ganz umsonst.



Ein Hauptmann kommt.



HAUPTMANN.

Edmund ist tot, Mylord!

ALBANIEN.

Das ist hier Nebensache.

Ihr Freund' und edeln Lords, hört unsern Willen:

Was Trost verleihn kann so gewalt'gen Trümmern,

Das sei versucht: Wir selbst entsagen hier

Zu Gunsten dieser greisen Majestät

Der Herrschermacht.



Zu Edgar.



Ihr tretet in Eu'r Recht

Mit Ehr' und Zuwachs, wie es Eure Treu'

Mehr als verdient hat. Alle Freunde sollen

Den Lohn der Tugend kosten, alle Feinde

Den Kelch der Missetat. O seht, o seht! –

LEAR.

Und tot mein armes Närrchen? – Nein! Kein Leben!

Ein Hund, ein Pferd, 'ne Maus soll Leben haben,

Und du nicht einen Hauch? – Oh, du kehrst nimmer wieder,

Niemals, niemals, niemals, niemals, niemals! –

Ich bitt' Euch, knöpft hier auf! – Ich dank' Euch, Herr!

Seht Ihr dies? Seht sie an! – Seht ihre Lippen,

Seht hier, – seht hier! –



Er stirbt.



EDGAR.

Er schwindelt, – o mein König! –

KENT.

Brich, Herz, ich bitt' dich, brich!

EDGAR.

Blick' auf, mein König!

KENT.

Quält seinen Geist nicht! Laßt ihn ziehn! Der haßt ihn,

Der auf die Folter dieser zähen Welt

Ihn länger spannen will.

EDGAR.

Oh, wirklich tot! –

KENT.

Das Wunder ist, daß er's ertrug so lang':

Sein Leben war nur angemaßt.

ALBANIEN.

Tragt sie hinweg! Was uns zunächst erfüllt,

Ist allgemeine Trauer.



Zu Kent und Edgar.



Herrscht ihr beiden,

Geliebten Freunde; heilt des Staates Leiden!

KENT.

Ich muß zur Reise bald gerüstet sein;

Mein Meister ruft, ich darf nicht sagen: Nein!

ALBANIEN.

Laßt uns, der trüben Zeit gehorchend, klagen,

Nicht, was sich ziemt, nur, was wir fühlen, sagen.

Dem ältsten war das schwerste Los gegeben,

Wir jüngern werden nie so viel erleben.



Sie gehn mit einem Totenmarsche ab.

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke, 11.9.1902, Paris
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Herbsttag
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).


Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Verklärter Herbst
Gewaltig endet so das Jahr
mit goldnem Wein und Frucht der Gärten,
rund schweigen Wälder wunderbar
und sind des Einsamen Gefährten.

Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluss hinunter,
wie schön sich Bild an Bildchen reiht –
das geht in Ruh und Schweigen unter.

Georg Trakl
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Der Herbst
Viele Drachen stehen in dem Winde,
Tanzend in der weiten Lüfte Reich.
Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern,
Sommersprossig und mit Stirnen bleich.

In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln
Kleine Schiffe, weiß und leicht erbaut;
Und in Träumen seiner leichten Weite
Sinkt der Himmel wolkenüberblaut.

Weit gerückt in unbewegter Ruhe
Steht der Wald wie eine rote Stadt.
Und des Herbstes goldne Flaggen hängen
Von den höchsten Türmen schwer und matt.

Georg Heym
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
[Zu Ende geht der Herbst]
Verdrossnen Sinn im kalten Herzen hegend,
Reis ich verdrießlich durch die kalte Welt,
Zu Ende geht der Herbst, ein Nebel hält
Feuchteingehüllt die abgestorbne Gegend.

Die Winde pfeifen, hin und her bewegend
Das rote Laub, das von den Bäumen fällt,
Es seufzt der Wald, es dampft das kahle Feld,
Nun kommt das Schlimmste noch, es regent.

Heinrich Heine
Zuletzt geändert von Bundes-Jogi am 26. September 2018 21:16, insgesamt 2-mal geändert.
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Herbst
Astern blühen schon im Garten;
Schwächer trifft der Sonnenpfeil
Blumen, die den Tod erwarten
Durch des Frostes Henkerbeil.

Brauner dunkelt längst die Heide,
Blätter zittern durch die Luft.
Und es liegen Wald und Weide
Unbewegt im blauen Duft.

Pfirsich an der Gartenmauer,
Kranich auf der Winterflucht.
Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
Welke Rosen, reife Frucht.

Detlev von Liliencron
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Der herbstliche Garten
Der Ströme Seelen, der Winde Wesen
Gehet rein in den Abend hinunter,
In den schilfigen Buchten, wo herber und bunter
Die brennenden Wälder im Herbste verwesen.

Die Schiffe fahren im blanken Scheine,
Und die Sonne scheidet unten im Westen,
Aber die langen Weiden mit traurigen Ästen
Hängen über die Wasser und Weine.

In der sterbenden Gärten Schweigen,
In der goldenen Bäume Verderben
Gehen die Stimmen, die leise steigen
In dem fahlen Laube und fallenden Sterben.

Aus gestorbener Liebe in dämmrigen Stegen
Winket und wehet ein flatterndes Tuch,
Und es ist in den einsamen Wegen
Abendlich kühl, und ein welker Geruch.

Aber die freien Felder sind reiner,
Da sie der herbstliche Regen gefegt.
Und die Birken sind in der Dämmerung kleiner,
Die ein Wind in leiser Sehnsucht bewegt.

Und die wenigen Sterne stehen
Über den Weiten in ruhigem Bilde.
Lasst uns noch einmal vorübergehen,
Denn der Abend ist rosig und milde.

Georg Heym
(1887 - 1912)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Der Herbst
Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen,
Wo sich der Tag mit vielen Freuden endet,
Es ist das Jahr, das sich mit Pracht vollendet,
Wo Früchte sich mit frohem Glanz vereinen.

Das Erdenrund ist so geschmückt, und selten lärmet
Der Schall durchs offne Feld, die Sonne wärmet
Den Tag des Herbstes mild, die Felder stehen
Als eine Aussicht weit, die Lüfte wehen

Die Zweig' und Äste durch mit frohem Rauschen,
Wenn schon mit Leere sich die Felder dann vertauschen,
Der ganze Sinn des hellen Bildes lebet
Als wie ein Bild, das goldne Pracht umschwebet.

d. 15ten Nov. 1759

Friedrich Hölderlin
(1770 - 1843)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Die Raben
Über den schwarzen Winkel hasten
Am Mittag die Raben mit hartem Schrei.
Ihr Schatten streift an der Hirschkuh vorbei
Und manchmal sieht man sie mürrisch rasten.

O wie sie die braune Stille stören,
In der ein Acker sich verzückt,
Wie ein Weib, das schwere Ahnung berückt,
Und manchmal kann man sie keifen hören

Um ein Aas, das sie irgendwo wittern,
Und plötzlich richten nach Nord sie den Flug
Und schwinden wie ein Leichenzug
In Lüften, die von Wollust zittern.

Georg Trakl
(Gedichtausgabe 1913)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Herbst
Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.

Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!

Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.

Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.

Und es leuchten Wald und Heide,
Dass man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg' ein ferner Frühlingstag.

Theodor Storm
(Erstdruck 1847/48)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Verfall
Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,

Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

Georg Trakl
(Gedichtausgabe 1913)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Der Herbst des Einsamen
Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallner Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.

Bald nisten Sterne in des Müden Brauen:
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden,
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.

Georg Trakl
(1887 - 1914)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Herbstbild
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Friedrich Hebbel
(1852)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Kleine Aster

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!

Gottfried Benn (1912)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Schöne Jugend
von Gottfried Benn

Der Mund eines Mädchens
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach,
war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!

(1912)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Herbstentschluss
Trübe Wolken, Herbstesluft,
Einsam wandl' ich meine Straßen,
Welkes Laub, kein Vogel ruft.
Ach, wie stille! wie verlassen!

Todeskühl der Winter naht;
Wo sind, Wälder, eure Wonnen?
Fluren, eurer vollen Saat
Goldne Wellen sind verronnen!

Es ist worden kühl und spät,
Nebel auf der Wiese weidet,
Durch die öden Haine weht
Heimweh; - alles flieht und scheidet.

Herz, vernimmst du diesen Klang
Von den felsentstürzten Bächen?
Zeit gewesen wär' es lang,
Dass wir ernsthaft uns besprächen!

Herz, du hast dir selber oft
Weh getan und hast es andern,
Weil du hast geliebt, gehofft;
Nun ist's aus, wir müssen wandern!

Auf die Reise will ich fest
Ein dich schließen und verwahren,
Draußen mag ein linder West
Oder Sturm vorüberfahren;

Dass wir unsern letzten Gang
Schweigsam wandeln und alleine,
Dass auf unserm Grabeshang
Niemand als der Regen weine!

Nikolaus Lenau
(ca. 1833)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Bundes-Jogi
Benutzeravatar
Grasdaggl
Graues Land
Wolken in dämmernder Röte
droh'n über dem einsamen Feld.
Wie ein Mann mit trauriger Flöte
geht der Herbst durch die Welt.

Du kannst seine Nähe nicht fassen,
nicht lauschen der Melodie.
Und doch: in dem fahlen Verblassen
der Felder fühlst du sie.

Stefan Zweig
(1881 - 1942)
„Selbst das wildeste Tier kennt doch des Mitleids Regung“ – „Ich kenne keins und bin deshalb kein Tier“ (Richard III).

Strafraumgitarre
Benutzeravatar
Halbdaggl
Herbstwasenbeobachtungen

Die Blätter werden braun und bunt
und fallen von den Bäumen
Am Wasen geht's mal wieder rund
dank den geplatzten Träumen

Die Sonne brennt nicht mehr so heiß
Dafür des Trainers Stühlchen
Das ist die Zeit, wo niemand weiß,
wer soll's als nächstes kühlchen

Die Tage kürzer und auch die
Geduld des Präsidenten
Er schickt den Sportdirektor vor,
Das Gastspiel zu beenden.

So endet wieder Jahr um Jahr
Im Winter liegt der Schnee
Doch kommt der Friehling, das ist klar,
Kommt auch der VfB!

- Strafraumgitarre, "Brustringzyklus", Kapitel 1, 2018 -
Fick den Reichskanzler! Und den Kaiser!