Passt vielleicht ein bisschen dazu, ein Interview mit dem Regisseur und Co-Autor des
"Wir sitzen auf einem Pulverfass!"
Der "Joker" (Joaquin Phoenix), ein Narzisst. "Bei ihm heißt es immer nur ich, ich, ich. Es ist wild", sagt Regisseur Todd Phillips. (Foto: AP)
Todd Phillips erklärt, warum man seinen "Joker" nicht als Helden sehen sollte und welche gesellschaftlichen Kräfte aus einem Menschen einen Mörder machen können.
Von Richard Pleuger
Als Todd Phillips zum Interview erscheint, ist er der Regisseur der irrwitzigen und sehr erfolgreichen "Hangover"-Komödien - aber noch nicht viel mehr. Seinen "Joker"-Film aus dem Universum der Batman-Comics - der Begeisterung auslösen wird, bis hin zum Gewinn des Goldenen Löwen in Venedig, aber auch Wut und Kontroversen - haben zu diesem Zeitpunkt erst wenige Eingeweihte gesehen. Und doch scheint der 48-jährige New Yorker zu ahnen, was auf ihn zukommt. In seinen Augen blinkt eine Lust, die Dinge aufzumischen. Ab und zu genehmigt er sich einen Zug aus seiner immer präsenten E-Zigarette.
Todd Phillips heißt eigentlich Todd Bunzl und wurde mit Komödien wie "Road Trip", "Old School" und der "Hangover"-Trilogie bekannt. Seit "War Dogs" (2016) packt er auch kontroversere Themen an. (Foto: AP)
SZ: In Ihrem Film erleben wir, wie ein totaler Loser namens Arthur Fleck zum Joker wird - und zur Galionsfigur einer neuen, militanten Protestbewegung. Wow! Werden jetzt bald marodierende Horden im Joker-Make-up durch die amerikanischen Städte ziehen?
Todd Phillips: Also wir haben "Joker" nicht gedreht, um eine Revolution auf den Straßen zu starten. Aber es kann doch nicht falsch sein, Autoritäten anzuzweifeln und die Machtstrukturen dieser Welt zu hinterfragen! Wenn diese Menschen maskiert demonstrieren, dann wollen sie im Grunde doch wissen, von welchen Mächten sie dominiert und drangsaliert werden. Sie stellen die harten Fragen, und das ist richtig so. Davor muss sich auch ein Hollywoodfilm nicht fürchten. Wenn wir diesen Impuls auslösen, können wir stolz darauf sein.
Nun, viele Ihrer Kollegen in der Entertainment-Branche wären da vorsichtiger ...
Ja, niemand will öffentlich über diese Machtstrukturen sprechen, und über die gesellschaftlichen Unruhen, die darunter rumoren. Es heißt immer, es sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Na gut, aber dann müssen wir vielleicht in Filmen darüber sprechen! Oder in Fernsehserien. Oder in Büchern. Alles, was dieses Gespräch in Gang setzt, finde ich gut. Wenn mal wieder irgendwo in meinem Land Gewalt explodiert, stürzen sich alle auf den Funken, den Auslöser. Aber niemand spricht die andere Wahrheit aus: Wir sitzen auf einem Pulverfass! Darüber muss man doch sprechen, und darüber spricht unser Film - über die Kräfte, die Arthur Fleck überhaupt erst zum Joker machen.
Welche sind das denn?
Es beginnt mit einem Kindheitstrauma, schon seiner Mutter wird übel mitgespielt. Und es geht weiter mit dem sozioökonomischen Klassensystem, das wir in den USA faktisch haben, und das im Grunde die ganze Welt umspannt. Wer das in aller Härte erleben muss, kann zum Joker werden.
Dieser Arthur Fleck ist psychisch gestört - und dann zeigen Sie Kürzungen im Sozialsystem, die dazu führen, dass er keine Medikamente mehr bekommt. Das allgemeine Elend, die Müllberge auf den Straßen - das erinnert an die Zeitstimmung im New York der frühen Achtzigerjahre. Hätten da nicht auch Videoaufnahmen eines jungen, arroganten Immobilienhais namens Donald Trump gut reingepasst?
Schon, aber das wäre leider zu offensichtlich gewesen (lacht). Der Film sollte nicht auf diese parteipolitische Schiene geraten. Wir wollen grundlegender provozieren, das war das Ziel! Wir bieten auch keine Rezepte und keine Lösungen. Es geht erst einmal um die Beschreibung eines Problems.
Dennoch liegt es nahe, auch in Donald Trump eine Art Anarcho-Clown zu sehen. Oder in Boris Johnson ...
Ja, darüber gibt es schon lustige Debatten unter meinen Freunden - wer im Film denn nun am ehesten Donald Trump sein könnte. Denn es gibt ja auch diesen arroganten Milliardär namens Thomas Wayne, den Vater des späteren Batman. Erst einmal denkt man, das ist vielleicht die Trump-Figur, bis man merkt: Moment, die aufgebrachten Massen hassen ihn, das passt also nicht. Bleibt der Joker ..
Der ja auch ein Narzisst ist!
Allerdings. Es wäre falsch, ihn als Helden oder als guten Menschen zu sehen. Er ist ein Opfer, er ist traumatisiert, er wurde in all das hineingeworfen, es ist nicht seine Schuld. Aber als Narzisst kann er eben nur an sich selbst denken, lange bevor er zum Joker wird. Niemand versteht ihn, denkt er, niemand hört ihm zu. Bei ihm heißt es immer nur ich, ich, ich. Es ist wild.
Sie haben Joaquin Phoenix wirklich die Qual dieser Figur spielen lassen - und selbst Ihre Komödien haben Momente, wo es unter dem Lachen wehtut. Warum wird so viel guter Humor aus Schmerz geboren?
Ich weiß es auch nicht, ehrlich gesagt. Aber ich weiß, dass in vielen Komikern eine dunkle Seite wohnt. Da brauche ich nur mein eigenes Leben anzuschauen - wenn du in einer harten Umgebung aufwächst, fällt dir als Kind die Rolle zu, der Spaßvogel zu sein. Um die Dinge erträglicher zu machen. Viele Komiker möchten als erstes ihre eigene Mutter zum Lachen bringen. Weil die vielleicht depressiv ist. Aber diese mütterliche Depression lebt dann in ihnen weiter, als eine Art Dunkelheit. Und als Zwang, weiterhin den Clown zu geben.
Warum haben sich so viele tolle Schauspieler auf die Rolle des Jokers gestürzt, von Jack Nicholson über Heath Ledger bis zu Joaquin Phoenix?
Zwei Dinge fallen mir dazu ein - Freiheit und Gesetzlosigkeit.
Auf der Leinwand ausleben, was wir alle gerne tun würden?
Das vielleicht auch. Aber vor allem glaube ich, dass Schauspieler gern eine Rolle in Angriff nehmen, die durch keinerlei Regeln definiert ist. Denn das ist ungewöhnlich und aufregend. Was immer dir einfällt für deine Performance, mach es! Und bei der Frage, ob der Joker das auch wirklich tun würde, lautet die Antwort fast immer: Klar! Das wirkt befreiend. Aber man muss auch furchtlos sein, um sich darauf zu stürzen. Und es kann nicht schaden, sich ein wenig mit dem Denken C. G. Jungs zu befassen ...
Wieso das denn?
Bei Jung gibt es diese Philosophie der Maskierung, diese Maske, die das wahre Selbst verdeckt. Und das Verrückte daran ist, dass Arthur Fleck im Lauf seiner Entwicklung diese Maske ablegt - und der Welt sein wahres Gesicht zeigt. Das ist unsere wirklich abgefuckt interessante Sichtweise der Dinge. Die meisten Zuschauer werden das aber gar nicht mitbekommen, vermute ich mal.
Also in dem Moment, wo sich der Joker dieses entstellende Grinsen ins Gesicht schminkt ...
... wird er frei.
Mit Sartre könnte man auch vermuten, dass der Joker ein Absurdist ist. Er begrüßt am Ende die Bedeutungslosigkeit des Lebens und rebelliert gleichzeitig dagegen. Sartre sagt, dass der absurde Mensch ohne Zukunft, Hoffnung, Illusionen und ohne die daraus folgende Resignation leben will. Er widmet dem Tod seine ganze Aufmerksamkeit, und diese Faszination befreit ihn. Der absurde Mensch erfährt die göttliche Verantwortungslosigkeit des Verdammten.
Mein Co-Autor Scott Silver und ich haben viel über solche Theorien gesprochen. Auch über Freuds Strukturmodell der Psyche, ob der Joker also das pure "Es" verkörpert, die ungebremste Herrschaft der Triebe und Affekte, die auf sofortige Befriedigung drängen. Wenn man sich in eine Figur wie den Joker hineindenkt, kann man mit diesen Theorien fünf oder zehn verschiedene Versionen entwickeln, da geht man wirklich auf Entdeckungsreise. Aber am Ende muss es funktionieren ... und ich hoffe mal, dass der Film Debatten auslöst, dass die Leute beim Abendessen diskutieren, was sie im Kino gesehen haben. Warum tun wir das heute nicht mehr? Weil wir alle so Angst haben?
Auch das Ende des "Jokers" wird für Diskussionen sorgen - weil es nicht ganz eindeutig ist und verschiedene Sichtweisen offenlässt ...
Ja! Es wäre zum Beispiel denkbar, dass Arthur Fleck, unser gequälter Protagonist, sich zwar im Fernsehen "Joker" nennt - aber am Ende gar nicht der Mann ist, der im weiteren Verlauf der Geschichte unter dem Titel Joker zum Superschurken und zu Batmans großer Nemesis wird. Vielleicht hat er diesen anderen Mann nur inspiriert, vielleicht ist es einer der vielen anonymen Maskierten da draußen auf der Demonstration. Und vielleicht geht es darum in dem Witz, den Arthur Fleck am Ende seiner Sozialarbeiterin nicht erzählen will, weil sie ihn ohnehin nicht verstehen würde ...
Sie feuern Spekulationen über Ihre eigene Geschichte an!
Ja, diese Interpretation hatte jedenfalls einer meiner Freunde nach dem Film. Hochinteressant! Ein anderer meinte, dass die ganze Szene, wo der Joker sich am Ende erhebt und von der wildgewordenen Menge gefeiert wird - dass das alles nie stattgefunden hat, oder eben nur im Kopf des Jokers. Immerhin wird er davor von einem Krankenwagen angefahren, und danach ist er in einem Raum mit hellem Licht. Ich liebe es, wenn meine Zuschauer sich auf diese Weise ihre eigenen Interpretationen zusammenreimen!
Ebenfalls bei SZPlus:
Der wunde Punkt
Der Kinofilm "Joker" löst in den USA Wut und Begeisterung aus. Er zeigt Hass, Verbitterung und Gewalt, die kaum zu ertragen ist. Und wirkt wie die düstere Vision der Wahlschlacht, die dem Land bevorsteht.
Von David Steinitz