- Local Zero
-
- Grasdaggl
Bemerkenswerter ist, dass sich Münkler im „SZ“-Interview nun als jemand stilisiert, der Angela Merkel gedrängt habe, nach der Besetzung der Krim härter gegen Russland vorzugehen. Das von der Bundeskanzlerin mitverhandelte Waffenstillstandsabkommen „Minsk 2“ von 2015 sei keine Neuauflage von München 1938 gewesen – zumindest nicht im Sinne der Nachgiebigkeit gegenüber einem Diktator, sondern eine notwendige Atempause, „um die damals desolate ukrainische Armee zu rüsten. Das war vom Ende her gedacht“, die Rüstung sei dann aber zu zögerlich erfolgt.
Sollte Münkler diese Frage mit Merkel tatsächlich „rauf und runter diskutiert“ haben, wie er nun sagt, scheint sie seine Worte nicht beherzigt und jedenfalls ihrem Nachfolger Olaf Scholz nicht weitergesagt zu haben. Bekanntlich galt im Februar 2022 sogar die Lieferung von 5000 Helmen und einigen Packen Verbandsmaterial in Berlin als spektakuläre Grenzüberschreitung. Und in den Wochen vor Beginn der russischen Großinvasion blickte auch Münkler selbst anders auf München 1938: Damals warnte er in einem Gastbeitrag für die „Welt“ ausdrücklich davor, Putins Handeln mit der Expansionslust Hitlers zu vergleichen: „Die Analogie zu München 1938 läuft nämlich darauf hinaus, dass der Krieg unvermeidlich ist. Diese Analogie ist fatalistisch.“ Passender erschien Münkler die Analogie zu 1914, als zwei Bündnissysteme wegen einer „geopolitisch nachrangigen Frage“ und mangels geeigneter Vermittler auf den ungewollten großen Krieg zugesteuert seien.
Münklers aktuelle Äußerungen klingen jetzt doch deutlich anders. Im „Spiegel“ legte er kurz nach dem „SZ“-Interview nach. Die gegenwärtige weltweite Aufrüstung, so lesen wir, „hätte so nicht kommen müssen, wenn der Westen von Anfang an dem russischen Projekt der Zerschlagung einer souveränen Ukraine entschieden entgegengetreten wäre und die Achtung der Weltordnungsregeln durchgesetzt hätte“. Der bittere Witz ist, dass Münkler die Teilung der Ukraine 2014 selbst mehrmals – und zwar ganz explizit – vorgeschlagen hat. „Wenn man sagt, die Ukraine solle nicht geteilt werden“, sagte er damals kurz nach der Annexion der Krim der „Welt“, „erhält man ein Modell aufrecht, das multi-ethnisch ist. Es ist eigentlich nicht begründbar, was die Gründungserzählung dieses Staates wäre, denn sie wäre immer eingewoben in die Gründungserzählung Russlands, den Kiewer Rus.“
Diese Sicht entsprach 2014 dem publizistischen Mainstream, als viele meinten, man komme ohne das zurecht, was ein anderer Politikwissenschaftler einmal „kleinteilige Regionalexpertise“ nannte. Es reichte aus, die Klischees von der „Spaltung“ der Ukraine in einen habsburgisch-katholischen Westen und einen orthodox-russischen Osten zu reproduzieren. Folgerichtig schlug Münkler vor, „den Fall Ukraine zu benutzen, um das Verhältnis mit den Russen so zu klären, damit nicht noch mal so etwas Problematisches passiert wie Syrien“. Anders gesagt: mithilfe einer geopolitisch scheinbar nachrangigen Frage sollten die Einflusssphären zwischen Russland und dem Westen abgesteckt werden. „Für die Menschen hätte das den Vorteil, dass endlich klar ist, zu welcher Wohlstandszone sie gehören“: So warb Münkler in einem anderen Interview für die Teilung der Ukraine, die er sich entlang des Dnipro vorstellen konnte.
https://www.faz.net/aktuell/wissen/geis ... 62733.html
"Ein Wort, Herr! Sag mir nur ein einziges Wort in diesem Elend!" - "Ich sage dir sogar zwei: Guten Appetit!"
-------
"Es gibt keine Lösung. Weil es kein Problem gibt."