Wurde das Corona-Virus in einem Labor gezüchtet?
Jaja, der Einstieg in den gleich verlinkten Text ist sportlich und macht sich über die obige Frage lustig. Manch ein Medienskeptiker denkt dann, da lesen nur Trottel weiter. Der Text wird aber schnell sachlich.
Neulich wurde hier eine Folge von
Leschs Kosmos empfohlen. Zu Recht, finde ich, die war gut. Das hier ist in etwa eine schriftliche Fortsetzung jener Sendung. Bitte anschnallen, wir reisen in die Welt von Sars-CoV-2:
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/ ... -1.4867258Argh, ich sehe, es ist ein Bezahltext. Na, gut... ich kopiere den Text hier rein, appelliere aber bei der Gelegenheit nochmal dafür, ab und an mal für die Arbeit der Journalisten zu bezahlen. SZ-Plus gibt es derzeit für einen Probepreismonat von 9,90 Euro, die FAZ bietet aktuell auch ein günstiges Angebot an und wer
Die Welt mag, soll halt die Leute unterstützen, die bei der Welt für ihn arbeiten. Ken Jebsen ist auch nicht umsonst - da bezahlt man mit dem Zerstörung eigener Hirnzellen.
Anyway, enjoy:
Wie das Virus in den Menschen kam
Hätte Sars-CoV-2 im Labor hergestellt werden können? Vieles spricht dagegen. Entscheidend ist, wo Viren entstehen - und nicht ob, sondern wann der nächste Sprung auf den Menschen passiert.
Von Felix Hütten und Kathrin Zinkant
Eigentlich schien die Sache klar zu sein. Das neuartige Coronavirus ist Teil einer Weltverschwörung, gesteuert von dunklen Mächten, die der Menschheit schaden wollen. Dafür haben sie in einem geheimen Labor ein neues Virus gezüchtet. Sein Name: Sars-CoV-2.
Doch so klar ist die Sache dann doch wieder nicht. Eher ist klar, dass die Laborgeschichte eine von vielen Verschwörungstheorien ist, die derzeit durch das Internet geistern; eigentlich Zeitverschwendung, sich damit zu beschäftigen. Doch in Zeiten von Fake News bringen selbst seriöse Wissenschaftler die Energie auf, den verschwörerischen Unsinn geduldig zu widerlegen.
So hat ein Team um den Molekularbiologen Kristian G. Andersen vom Scripps Research Institute in La Jolla in Nature Medicine nun sogar eine wissenschaftliche Arbeit zu der Frage veröffentlicht, ob das neue Virus denn überhaupt in einem Labor hätte hergestellt werden können. Die Forscher warfen unter anderem einen Blick auf jene Eiweiße auf der Oberfläche des Virus, mit deren Hilfe der Erreger an Körperzellen andockt und in sie eindringt.
Anders als Computermodelle es voraussagen würden, bindet das Virus mit diesem Protein recht gut an das Lungengewebe des Menschen - aber nicht so gut, wie man es von einem künstlich hergestellten Virus erwarten würde. Und noch etwas spricht nach Aussage der Autoren gegen einen Laborerreger: Die molekulare Struktur, also das Grundgerüst des Virus, unterscheidet sich auffällig von anderen Coronaviren, die Menschen infizieren können. Wäre das Virus eine Laborkreation, hätten seine Erschaffer auf einen bereits bekannten Verwandten zurückgegriffen.
Doch woher kommt das Virus dann? Die Frage beschäftigt die Forschung seit dem Beginn der Pandemie, sie könnte essenziell für die Bekämpfung des neuen Erregers sein. Und tatsächlich konnten Virusanalysen bereits zeigen, dass das Erbgut eines Coronavirus aus asiatischen Fledermäusen - genauer: aus der Java-Hufeisennase - zu 96 Prozent mit dem aktuellen Coronavirus übereinstimmt. Es ist aber dennoch kein simples Fledermausvirus, das die Menschheit derzeit im Griff hält.
Es gibt wenige, aber doch eklatante Unterschiede zwischen dem Fledermausvirus und dem neuartigen Coronavirus. Sie finden sich vor allem an den Oberflächeneiweißen, mit denen die Erreger Zellen entern. Wahrscheinlich kann die Fledermausvariante menschliche Zellen deshalb eher schlecht befallen. Selbst wenn also zum Beispiel ein Wanderer mit den Tieren in Kontakt gekommen ist - Patient Null wäre damit noch nicht gefunden. Wie aber kam dann das Virus zum Menschen?
Das Forscherteam um Andersen entwirft in Nature Medicine zwei Theorien. Nummer Eins: Das Virus kam über einen Zwischenwirt zum Menschen, wie es beim Übergang von Viren aus dem Tierreich auf den Menschen oft passiert. In diesem Fall könnten Schuppentiere, die auch als Pangoline bekannt sind, das Virus auf den Menschen übertragen haben.
Man hat in den Säugetieren Coronaviren gefunden, die dem Pandemievirus zwar insgesamt weniger ähnlich sind als das Fledermausvirus. Doch ausgerechnet in dem entscheidenden Oberflächeneiweiß stimmen sie fast vollständig mit Sars-CoV-2 überein - sie könnten ähnlich gut an menschliche Zellen andocken wie das neue Virus.
"Das beweist, dass Viren, die Sars-CoV-2 sehr ähnlich sind, durch natürliche Selektion in der Natur entstehen können", sagt Stefan Pöhlmann, Leiter der Infektionsbiologie am Deutschen Primatenzentrum (DPZ).
Sollten sich diese Viren durch sogenannte Rekombination dann mit anderen Coronaviren im Tier vermischt haben, war der Vorläufer von Sars-CoV-2 schon gut auf seinen menschlichen Wirt vorbereitet. In diesem Fall könnte das Virus jederzeit erneut auf den Menschen übergehen, sagt Markus Hoffmann, ebenfalls Infektionsbiologe am DPZ. Denn das Virus wäre bereits scharf, es müsste sich nicht mehr verändern, um sich effizient in menschlichen Zellen zu vermehren.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit: Eine weniger krankmachende Version des Virus könnte vom Tier auf den Menschen gesprungen sein - unentdeckt, da es keinen Schaden anrichtete. Punktuelle Veränderungen des Erbguts, auch Mutationen genannt, hätten den Erreger dann nach und nach geformt - vom zahmen Pangolin-Virus hin zum pandemischen Erreger.
Zwar produzieren solche Mutationen häufig auch Schrott. "Die meisten dieser Infektionen verlaufen dann im Sande", sagt Hoffmann. Kommen Menschen aber regelmäßig mit eigentlich wild lebenden Tieren zusammen, wie auf dem Markt in der chinesischen Großstadt Wuhan, wäre dieses Szenario durchaus denkbar.
Bewiesen ist keine der beiden Theorien, sicher ist nur: Die Suche nach dem Ursprung des Erregers geht weiter. In den kommenden Wochen werden Forscher gezielt auf Märkten nach Tieren fahnden, die mit Sars-CoV-2 verwandte Coronaviren in sich tragen, vermutet Hoffmann. Und diese Fahndung ist nicht nur wichtig, um die Herkunft des aktuellen Erregers zu verstehen. Es geht auch um die Zukunft.
Entwickelt sich das Virus weiter, verändert es sich womöglich? Könnten andere, neue Coronaviren entstehen, auf die gleiche oder auf ähnliche Weise, wie Sars-CoV-2 in diese Welt kam? Analysen aus der Virusgenetik könnten hier Hinweise liefern, allerdings ist es ein ziemlich heikles Feld. Es lässt viel Raum für Spekulationen und Interpretationen, die mit Wissenschaft wenig zu tun haben. Selbst Forscher sind davor nicht gefeit.
So berichteten die chinesischen Bioinformatiker Jie Cui vom Institut Pasteur in Shanghai und Jian Lu von der Universität Peking nach einer Analyse von rund 100 Virusgenomen bereits im Februar von der Entwicklung zweier genetischer Sars-CoV-2-Varianten, die sie den neueren L- und den älteren S-Typ nannten. Wie die Wissenschaftler damals in einem eilig publizierten Papier schrieben, sollte der jüngere L-Typ aggressiver sein als der ursprünglichere S-Typ.
Das folgerten Jian Lu und sein Team aus zwei Mutationen, die im L-Typ stets gemeinsam auftraten. Zugleich verbreitete sich der L-Typ stärker als der ältere Virustyp und schien nach einem flüchtigen Blick auf die Statistiken auch mehr Todesopfer zu fordern. Die naheliegende Schlussfolgerung lautete, dass sich das Virus verändert hatte - und in den Augen der Studienautoren war es dadurch gefährlicher geworden.
Coronavirus-Experten wie Christian Drosten von der Berliner Charité hatten anschließend einiges zu tun, um das Gerücht vom gefährlicher werdenden Virus wieder aus der Welt zu schaffen. "Es ist ganz schwierig, wenn nicht gar unmöglich, allein anhand von Sequenzen zu sagen, ob ein Virus gefährlich oder nicht gefährlich ist, ob es mehr oder weniger Menschen krank macht", sagte Drosten Anfang März in seinem täglichen Podcast für NDR Info. "Das können wir nicht aus Genomen ablesen - von ganz, ganz seltenen Ausnahmen abgesehen." Die Studie der Chinesen sei keine solche Ausnahme.
Tatsächlich verändert sich das Erbgut von Coronaviren stetig durch Mutationen, das ist eigentlich bei allen Viren so. Im Vergleich zu etwa Grippeviren ist diese stete Veränderlichkeit bei Coronaviren allerdings gering, pro Monat mutiert es etwa zwei bis drei Mal - das ist deutlich weniger als etwa bei Grippeviren. Zugleich zählt das Genom zu den größten, die es bei Viren mit einzelsträngigem Erbgut aus RNA überhaupt gibt. Fachleute bezeichnen den Erreger jedenfalls als relativ stabil.
Das heißt zwar nicht, dass es keine einschneidenden Veränderungen im Erbgut von Coronaviren durch Mutationen geben kann. Diese führen jedoch nicht einmal zwingend dazu, dass das Virus gefährlicher wird. Das am engsten mit Sars-CoV-2 verwandte Virus hat sogar schon das Gegenteil demonstriert: Der Erreger von Sars, der jetzt Sars-CoV-1 heißt, verlor im Verlauf der ersten Coronavirus-Pandemie vor 17 Jahren unvermittelt ein kleines Stück Erbgut - und damit auch ein Eiweiß. Diese neue Variante war wegen ihres Verlustes bei weitem weniger erfolgreich in der Vermehrung als das Original - doch sie verbreitete sich trotzdem.
Virologen sprechen von einem Gründer-Effekt, wenn neue Viren sich den Menschen als Wirt erschließen wie damals das erste Sars-Virus und jetzt Sars-CoV-2. Da diese Gründer erst einmal nicht direkt mit anderen Varianten ihrer eigenen Art konkurrieren und in ihrem neuen Wirt meist auch nicht auf Widerstand treffen, übt die Evolution zunächst auch keinen Optimierungsdruck auf den Erreger aus.
Im Gegenteil. Nicht selten schwächen sich neue Viren im Verlauf des ersten Ausbruchs ab, denn ohne Konkurrenz vermehren sie sich selbst dann weiter, wenn sie weniger aggressiv geworden sind. Ob das beim aktuellen Pandemievirus der Fall ist, ist derzeit unklar, das Virus verändert sich ja kaum - und es ist auch noch nicht lange in der Welt unterwegs. Allerdings hat es sich schon stark verbreitet und könnte nun vermehrt auf seinesgleichen treffen.
Dennoch spricht vieles dafür, sich über mutierte und deshalb aggressivere neue Stämme von Sars-CoV-2 vorläufig keine allzu großen Gedanken zu machen. Auch dass Änderungen des Virus den hoffentlich im kommenden Jahr verfügbaren Impfstoff schon jetzt unterwandern könnten, halten Experten für eher unwahrscheinlich.
Der Erreger ist, wie er ist - und sein hohes Ansteckungspotenzial macht ihn in der aktuellen Version gefährlich genug. Bei einer geschätzten Sterblichkeit um ein Prozent und einer Durchseuchung der Bevölkerung von mindestens 60 Prozent muss selbst Deutschland mit einer halben Million Opfer rechnen, sollte der Ausbruch nicht deutlich gebremst werden.
Man kann nun auf Medikamente und einen Impfstoff hoffen, an beiden Maßnahmen wird derzeit mit großem Aufwand geforscht. Für die Zukunft stellt sich aber die Frage, wo Viren wie der aktuelle Erreger entstehen - und nicht ob, sondern wann der nächste Sprung auf den Menschen passiert, womöglich wieder mit einem Coronavirus.
Immerhin haben es binnen weniger als zwei Jahrzehnten schon drei Vertreter der Coronavirus-Familie geschafft: 2002 und 2003 der Erreger von Sars, der hochaggressiv war und zum Glück wieder vollständig verschwunden ist. Dann vor wenigen Jahren das zwischen Menschen nur wenig ansteckende, aber dafür extrem krank machende Mers-Virus, das in Kamelen residiert und immer wieder neu auf den Menschen übergeht. Und nun der weniger oft tödliche, aber sehr verbreitungsfreudige Erreger von Covid-19, der nach Einschätzungen von Experten bleiben wird, man sagt: Er wird endemisch.
Doch auch wenn der akute Ausbruch vorbei ist und das Leben tatsächlich wieder zur Normalität zurückkehren kann: Sars-CoV-2 ist nur die jüngste Gefahr, nicht die letzte. Der große US-Evolutionsbiologe Jared Diamond hat in einem gemeinsamen Aufsatz mit dem Virologen Nathan Wolfe in der Süddeutschen Zeitung bereits vor der nächsten Seuche gewarnt. Man habe nach Sars versäumt, wichtige Vorkehrungen zu treffen. Dazu gehört nach Ansicht von Diamond und Wolfe, dem Wildtierhandel weltweit ein Ende zu setzen, um neuen Erregern aus diesen Tieren möglichst wenige Gelegenheiten zu geben, auf den Menschen zu springen.
Vermutlich gehört aber noch viel mehr dazu. Eine Gesellschaft, die auf natürliche Gefahren mit Verschwörungstheorien reagiert oder ungeduldig Normalität fordert, wird niemals gut im Kampf gegen ein neues Virus sein. Auch beim nächsten nicht.