Auch wenn ich die Attacke Marco Goeckes auf die Kritikerin Wiebke Hüster überhaupt nicht gutheißen kann und will, so kann ich aus meinen Kontakten zu der Ballettszene und meinen Kenntnissen über die Kritiken der Frau Hüster die Sichtweise von Herrn Goecke, die in dem NDR-Artikel aufgezeigt wird, absolut bestätigen.
Frau Hüster schreibt imho keine Kritiken, sondern diffamiert Künstler, die ihr nicht passen, aufs Übelste und immer ad hominem.
So verreißt sie seit fünfzehn Jahren eben jenen Marco Goecke, der einen sehr eigenwilligen Tanzstil kreiert hat (den man nicht mögen muss, den aber viele Tanzbegeisterte rund um den Globus sehr schätzen), der erst 2022 den Deutschen Tanzpreis erhalten hat und auch sonst zu den am meisten nachgefragten Choreographen des modernen Balletts/Tanzes weltweit gehört. Mit Begriffen wie "Langeweile" wird dabei nicht nur die Schöpfung des Künstlers angegriffen, sondern eigentlich auch jeder begeisterte Zuschauer im Publikum diffamiert als jemand, der sich nicht wirklich auskennt (oder sich halt für jeden "Scheiß" begeistert...).
2012 waren ihre Kritiken über die neue Leitung des Wuppertaler Tanztheaters nach dem Tod der Gründerin Pina Bausch wohl durchaus mit ausschlaggebend, dass die Person in leitender Funktion schließlich gehen musste.
Sie ist deshalb, das kann ich als Fakt nennen, gerade auch in Kreisen von Tanzkritikschaffenden sehr umstritten.
Problematisch wird ein solches Tun halt aufgrund der Position von Frau Hüster bei der FAZ (und übrigens zusätzlich noch beim Deutschlandfunk), beides überregionale Medien, weshalb solche Kritiken/Verrisse natürlich einen bestimmten Verbreitungsgrad erreichen und sicher auch die Meinung des Publikums, der Theaterleitung und eventuell auch der Sponsoren/Mäzene/öffentlichen Hand beeinflussen, was dann ggf. auch finanzielle Folgen für den Künstler haben kann. Eine Position übrigens, die Frau Hüster möglicherweise weniger aufgrund der Qualität ihrer Beiträge erhalten hat. Manchmal kann es wohl helfen, wenn man mit einem der Herausgeber der Zeitung verheiratet ist...
Exkurs: Grundsätzlich ist eben eine Kunstkritik immer problematisch: Denn jede Kritik, positive wie negative, ist niemals objektiv, sondern bleibt immer genau das: Eine persönliche Meinung. Nicht mehr und nicht weniger. Und der Kritiker unterscheidet sich diesbezüglich nicht vom gewöhnlichen Zuschauer. Was man von einem Kunstkritikschaffenden erwarten kann, ist, dass er/sie ein großes Fachwissen besitzt und viel gesehen hat und dass er/sie aufgrund dessen ein Kunstwerk besser beschreiben und einordnen kann als der "normale" Zuschauer. Und in dieser Funktion eine Orientierungshilfe sowohl für den Zuschauer als auch für den Künstler sein kann. Darin besteht für mich gute Kunstkritik.
Aber Geschmäcker bleiben dennoch verschieden - und so mag dem einen gefallen, was der andere nicht leiden kann. Deswegen kommt dem Kunstkritiker imho immer auch eine besondere Verantwortung zu, nämlich, seinen eigenen Geschmack auch zu hinterfragen und insbesondere nicht als den absoluten Maßstab für die Beurteilung eines Kunstwerks zu nehmen. Also sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen oder gar - aus welcher Absicht auch immer - kunstpolitisch zu handeln.
Leider empfinde ich Frau Hüsters Tanzkritikertum eher dem letzteren zugeneigt. Und da hat sie imho auch regelmäßig Grenzen überschritten und persönliche Angriffe gestartet, so dass ich Marco Goeckes Reaktion zwar absolut nicht gutheißen, aber doch nachvollziehen kann.
Ich habe gestern in einer Signalnachricht geschrieben:
Geschriebene Scheiße ist gesellschaftlich akzeptiert, auch wenn sie den Künstler trifft.
... und musste heute ein wenig lächeln, als ich das in etwa gleiche Statement von Marco Goecke lese.
Herr Goecke wird sich für diese Attacke zurecht vermutlich vor dem Gesetz verantworten müssen. Dennoch finde ich es gut, dass Gauthier Dance (und ich hoffe auch das Stuttgarter Ballett als ehemalige künstlerische Heimat von Marco Goecke!) sich nicht in eine Hexenjagd hineinziehen lassen, sondern diesem phantastisch innovativen und kreativen Künstler weiterhin Aufträge für neue Werke erteilen werden!!! Denn für mich wäre dies eine wirklich schlimme künstlerische und menschliche Katastrophe, wenn dadurch die Karriere des Marco Goecke beendet wäre.
Wenn die Unfähigkeit einen Decknamen braucht, nennt sie sich Pech.
- Charles Maurice de Talleyrand -