@thoreau und Uwe
(sorry, bin gestern nicht mehr zum Antworten gekommen)
thoreau hat geschrieben:Ich glaube es geht oft nicht mehr darum eine Aussage als das zu tätigen was sie ist. Nämlich Teil einer Unterhaltung, die erst dazu wird indem sie gehört, verstanden, reflektiert und beantortet wird. Ich glaube es geht mehr darum die eigene Meinung in einen Raum stellen zu können, der keine selbst erkennbare Leserschaft/Zuhörerschaft hat. Endlich die Möglichkeit zu haben die eigene Meinung zu äußern ohne sich direkt für sie rechtfertigen und sie erläutern und belegen zu müssen wie das in herkömmlicher Kommunikation der Fall ist. Die Anonymität, die das Internet bietet, tut da ihr Übriges.
Also dass sehr viele Menschen tendenziell lieber reden als zuhören, dürfte kein Internet-Phänomen sein, meiner Einschätzung nach. Hier sehe ich vor allem zwischen analog und digitaler Welt einen Unterschied darin, dass der freie Lauf der Freude am Reden (und wenig zuhören müssen) durch soziale Hierarchien gebremst wird, was im Internet weitgehend wegfällt. Und die Zuspitzung, die Du machst, nämlich, dass manche User im Internet ihre Meinung äußern wollen, ohne ein Feedback erfahren zu wollen, widerspricht meinen Beobachtungen hier sehr stark. Ich beobachte hier einen enormen Wunsch nach Aufmerksamkeit, fast stärker noch als im real life!
Mal ein Gedankenexperiment: glaubst Du irgendein x-beliebiger Mensch, wenn er wirklich das einzige Wesen auf einem Planeten wäre, würde noch irgendetwas sagen? Kommunizieren? Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir ohne die Fiktion des zuhörenden Gegenübers Selbstgespräche führen würden, wenn wir von Geburt an "das Einzige" wären.....
Uwe hat geschrieben:Ich bin davon überzeugt, dass das, was wir heute erleben, darin [Privatfernsehen] seinen Ursprung hatte.
Natürlich hast Du recht damit, dass das Privatfernsehen unterirdische Formate entwickelt hat. Ich bin trotzdem nicht überzeugt davon, dass das Privatfernsehen ursächlich eine moralische Deformation in der Gesellschaft ausgelöst hat. Vor allem aber sehe ich noch einen gravierenden Unterschied zwischen den Dieter Bohlens der TV-Unterhaltung die Du beispielhaft aufführst und einem anonymen Internetuser. Dieter Bohlen&Co entwickeln
kommerzielle Formate: wenn
diese Leute an "das Unzulängliche" im Menschen appellieren, dann tun sie es um Geld damit zu verdienen.
Wenn hingegen der gemeine Internetuser sich benimmt wie ein Arschloch, muss das andere Gründe haben. Hier wird es ja gerade (psychologisch) so interessant: wo profitiert eigentlich der
anonyme Internet-User mit seinem schlechten Verhalten? Mit "gutem Verhalten" könnte man ja noch verstehen wo er profitiert: er plauscht nett mit anderen und tausch sich aus. Was aber will der "Hater" vorteilhaftes für sich?
Die erste implizite Unterstellung war häufig: Triebabfuhr. Der Hater hasst halt........."gut" quasi, dass er es nur im Internet tut (wurde vielfach genau so gesagt). Nun hat man aber herausgefunden, dass der Hater häufig in der realen Welt ein sehr angepasster Zeitgenosse ist und es eher so scheint, als würde er sich durch die Gelegenheit "Internet" erst in seinen großen Zorn hineinsteigern.....? Das habe ich hier ja auch schon häufiger staunend in den Raum gestellt: "die Leute" machen freiwillig bei einem Format mit, welches ihnen systematisch schlechte Laune (Verunsicherung im Kern) bereitet.....
warum?
Über das Fernsehen hat Marcel-Reich-Ranicki für mich für alle Zeiten das treffendste Fazit gezogen: "Das Fernsehen macht dumme Leute dümmer und kluge Leute klüger". Das Internet, bzw. besser gesagt: die sozialen Medien, machen evtl. analog dazu: "nette Menschen ekelhafter und ekelhaftere Menschen noch ekelhafter.
Uwe hat geschrieben:Und mit dem Internet kam die Anonymität dazu. In der Fahrschule hatte ich gelernt, bei einem Unfall auf der Gegenseite nicht hinüberzuschauen, um nicht selbst in einen Unfall verwickelt zu werden. Heute ist es gang und gäbe, dass ein schlimmer Unfall auf der Autobahn andere nach sich zieht. Und ist dann doch ein Stau entstanden und man ist heil herausgekommen, klettert man mit dem Smartphone über die Leitplanke, um die Würde anderer Menschen anzutasten.
Ich sehe das genauso wie Du, besser gesagt, mich regt das genauso auf. Aber natürlich muss man auch hier sagen, dass dieses Gaffem - jedenfalls das auf der Autobahn - einer Neugier entspringt, die absolut nicht verwerflich sein kann. Denn natürlich interessiert es Menschen die auf einer Autobahn unterwegs sind, brennend was passieren kann, wenn man auf einer Autobahn unterwegs ist. Es ist also nicht das Gaffen das stört, sondern die Behinderung des Verkehrs, das Verursachen weiterer Unfälle und das Behindern der Rettungskräfte. Du und ich wären freilich immer noch pikiert, wenn es möglich wäre das Unfallgeschehen auf eine Weise zu beobachten (im Internet

), die einfach nur noch die Neu
GIERDE nährte aber niemanden mehr behinderte oder gefährdete, aber das ist halt unser Problem.
