Mit Habeck in Gaza - 20. Dezember 2019
Es ist eine Herausforderung für den deutschen Politiker, angemessen in Israel aufzutreten. Besonders, wenn er ein Mann ist. Von Alexander Osang
Ich habe hier verschiedene deutsche Politikermänner erlebt. Sigmar Gabriel schloss sich auf seinem Zimmer im King David Hotel ein, obwohl im Foyer eine Delegation israelischer Sozialisten wartete. Heiko Maas flog mit der schönsten rechten israelischen Politikerin im Helikopter über die besetzten Gebiete, und wenn sie ihn darum gebeten hätte, wäre er dort wohl auch mit dem Fallschirm abgesprungen. Gregor Gysi erklärte einem Mönch in Jerusalem, wie man die Welt rettet. Eine Gruppe Anzugträger der Jungen Union pflanzte einen Baum in der Wüste. Sie sahen aus wie Entführungsopfer. Vor ein paar Tagen bin ich gemeinsam mit Robert Habeck in einem kleinen Reisebus auf Gaza zugefahren.
Vorn erklärte ein Experte von der Israelischen Trauma-Koalition in der Stadt Sderot, dass man bei Raketenalarm 15 Sekunden habe, um den Bus zu verlassen und einen Schutzraum aufzusuchen. Wenn es keinen gibt: flach auf den Boden legen.
Robert Habeck sitzt hinten und schaut in den blassen Himmel, aus dem die Raketen fallen könnten. Er trägt hellblaue Jeans, hellbraune Stiefel und einen Dreitagebart. Er leistete seinen Zivildienst im damaligen Hamburger Spastikerverein. Er schrieb, gemeinsam mit seiner Frau, mehrere Romane. Er hat vier Kinder. Er ist Vegetarier. Seine Doktorarbeit handelt von literarischer Ästhetizität. Er ist Chef der Grünen Deutschlands, er ist aus Schleswig-Holstein und zum ersten Mal in Israel. Er nähert sich der Grenze zum Gazastreifen, wo rund zwei Millionen Palästinenser auf einem Landstreifen am Meer gefangen sind. Vermutlich war er selten weiter weg von zu Hause.
Der Traumaexperte erwähnt einen Krater, den eine Rakete bei den Angriffen im vergangenen Monat schlug.
"Einige Meter im Durchmesser", ruft er nach hinten in den Bus.
Auf einem Hügel außerhalb von Sderot steigen wir aus. Unser Führer zeigt nach Westen, wo Gaza liegt. "Ich hoffe, die andere Seite sieht, dass wir nur Zivilisten sind", sagt er. "Sie sehen uns ja. In diesem Moment."
Wir selbst sehen sie nicht, die andere Seite. Man hört die Maschinengewehre im nahe gelegenen Lager der israelischen Armee knattern.
"Was würde denn passieren, wenn wir einfach weiterfahren?", fragt Habeck.
"Wir würden nicht weit kommen", sagt der Traumaexperte.
Als wir zurück zum Bus gehen, ruft Habeck: "Ich will noch schnell den Bunker sehen."
Er läuft ein paar Schritte auf eine Betonröhre zu und verschwindet darin. Als er am anderen Ende wieder auftaucht, guckt er, als hätte er eine Mutprobe bestanden. Im Bus fragt er mich: "Wieso reden die dauernd von der anderen Seite? Dürfen sie den Namen nicht aussprechen, wie den von Lord Voldemort?"
Die Bedrohung scheint bei ihm eher Fragen auszulösen als Angst. Das ist angenehm. Die Tour gehört zum israelischen Routineprogramm. Im Traumazentrum versteht man, dass die Geisterfahrt uns von der Notwendigkeit des Traumazentrums überzeugen soll. Die Mitarbeiter erklären, welche Probleme die Dauerbedrohung für die Bewohner Sderots mit sich bringt. Schlaf- und Essstörungen, Aggressionen und Konzentrationsprobleme schon bei Kindern. Die behandeln sie unter anderem in einem Therapiezoo. Es gibt Chinchillas, einen Python, zwei Syrische Goldhamster, mehrere Hasen und einen Papagei, dem ein Stück Schnabel fehlt.
Habeck nimmt den Python in den Arm. Einen Königspython. Er streicht ihm über den Kopf.
"Das ist Goldie", sagt der Wärter des Traumazoos. Er könnte von der Schlange reden, aber auch vom Grünenchef. Habeck wirkt wie ein Schlangenbeschwörer. Der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky, der Habeck auf der Reise begleitet, schüttelt sich und flieht zu den syrischen Hamsterbrüdern.
"Deswegen kann ich nie Parteivorsitzender werden", sagt er.
Es ist nur ein Ausschnitt einer fünftägigen Reise, aber eigentlich habe ich alles gesehen.
Beim anschließenden Mittagessen wird Habeck sehr ernsthaft über Ängste, Erwartungen und Überraschungen dieser Reise sprechen, über Paul Celan, Plastikmüll, Elektroautos, Waffen und die allgegenwärtige grüne Moral. Er sei mit den U-Booten groß geworden, die in Kiel für Israel gebaut würden, sagt er. Er könne nicht für und auch nicht gegen sie sein. Er war gestern in Yad Vashem und wird morgen nach Hebron fahren. Er will sich dabei eigentlich nicht beobachten lassen, Emotionen liefern, die alle erwarten. Der letzte große Grünenpolitiker, der Israel besuchte, war Jürgen Trittin. Man kann sich kaum vorstellen, dass Habeck mit diesem Mann in derselben Partei ist. Habeck wird eine große Rede schreiben, in der es um beide Länder geht, Deutschland und Israel, um Schuld und Verantwortung. Aber die wird er nicht halten. In zwei Tagen wird er, kurz bevor er nach Deutschland zurückfliegt, ein paar Studenten der Tel-Aviv-Universität erzählen, welche Politiker die Welt künftig braucht.
"Niemand kommt mehr an die Macht, der sich auf der Brust herumtrommelt", wird Robert Habeck ihnen sagen. "Je stiller du bist, desto mehr erreichst du."
Ich fürchte, das wird schwer. Ich kann allerdings sagen, dass Habeck der einzige deutsche Politiker auf Israelbesuch war, den ich sowohl in einem Luftschutzbunker an der Grenze zu Gaza als auch in einem Käfig mit Wollmäusen beobachten durfte. Er sah in beiden Zusammenhängen gut aus.
Unser Autor zieht ins Ausland und fragt sich: Wohin mit den Schnapsflaschen, die sich über die Jahre angesammelt haben?