Frank N Furter hat geschrieben:Das sind auch noch viel mehr Gruppen als Du jetzt vielleicht adressiert hast. Denk bitte auch mal an die Krebspatienten deren Krebstherapie jetzt unterbrochen werden musste. Aufgeschobene Herz-OPs usw: Das ist schon ganz schön heavy was da passiert.
Ja. Ich kenne den Fall einer Enddreißigerin, die dringend operiert werden musste, weil ihr sonst die Amputation beider Beine gedroht hätte (ich glaube, aufgrund eines beidseitigen Arterienverschlusses?). Der im Krankenhaus zuständige Chefchirurg wurde von den Chefs der anderen Abteilungen rund gemacht, weil er Ressourcen belegt hat, die man auch für Corona brauchen würde. Zum Glück hat er sich durchgesetzt und die Frau operiert.
Das sind solche Geschichten, die nie wirklich publik werden. Auch deshalb stört mich die Fokussierung auf die Corona-Todeszahlen. Das ist wie bei einem großen… na, sagen wir mal… bei einem Bombenattentat. Da spricht man am Ende auch nur von den X Toten – und die unzähligen Verletzten, denen ein Arm abgerissen oder das Hirn traumatisiert wurde und deren Leben mithin am Arsch ist… die fallen einfach hinten runter.
Zurück zur aktuellen Situation:
Verbessert man die Situation von Krebs- oder Beinamputationsgefahr-Patienten, indem man A) die Maßnahmen wieder verschärft, damit nur noch wenige Corona-Patienten die Ressourcen in Anspruch nehmen? Oder indem man B) versucht, vollumfänglich zur Normalität zurückzukehren, inklusive „Krebspatienten brauchen eine Krebsbehandlung und die kriegen sie jetzt auch, Punkt!“
Ich tippe mal: Es gibt für beide Varianten gute Begründungen…

Einfache Fragen, komplizierte Antworten. DAS zeichnet m.E. die derzeitige Lage aus.
Einfache Antworten sind mir da suspekt. A propos:
„Wir sollten es wie Schweden machen!“
Ich wiederhole mich da: Man kann nicht 1-1 die Erfahrungen und Umgangsweisen anderer Länder auf uns übertragen. Weder im Guten, noch im Schlechten.
Insofern macht man es sich auch zu einfach, wenn man auf Schweden zeigt und wie ein kleines Kind „Ich auch will!“ kräht.
Auf den schwedischen Gemeinsinn gepaart mit dem legendären Greta-Garbo-Motto hatte ich schon hingewiesen. Das gibt’s so bei uns nicht, beides nicht. Dazu zitiere ich aus dem aktuellen Tagesspiegel:
„Schwedens Weg muss nicht falsch sein“, sagte Professor Claus Wendt vom Lehrstuhl für Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems der Uni Siegen, der die Hintergründe des schwedischen Sonderwegs analysiert hat, der dpa. Das Land habe gute Voraussetzungen, der Pandemie zu begegnen. Die Schweden seien allgemein bei guter Gesundheit, es gebe wenig Armut und soziale Ungleichheit und die Gesundheitsdaten der Menschen seien erfasst. „Ein ähnliches Datenniveau, um die Entwicklung und Ausbreitung von Krankheiten im Zeitverlauf zu erfassen, ist für Deutschland nicht erhältlich“, sagte Wendt.
Oh. Die Gesundheitsdaten der Menschen.
Klingt für mich wie eine außerordentlich wichtige Grundlage, um Risikogruppen gezielt zu erkennen und zu isolieren. Kein „alle über 65 ab ins Nestchen“! Sondern möglichst individuell vorgehend – DANN werden die Betroffenen Verständnis haben und mitmachen und 35jährige Herzkranke kann man ebenso gezielt schützen wie 45jährige Diabetiker.
Aber: Das gibt es so in Deutschland nicht.
Von dieser „Corona-App“ habe ich jetzt auch schon längere Zeit nichts mehr gehört. Ich frage mich, warum? Weil wir so eine App in Deutschland nicht technisch umgesetzt bekommen? Oder weil wir es nicht durchgesetzt kriegen?
Womöglich beides…
Wie hat Ranga Yogeshwar vor einiger Zeit bei „Lanz“ gesagt: Wir bekämpfen das Virus mit Mundschutz und Quarantäne – so wie wir schon im Mittelalter Epidemien bekämpft haben. Dabei hätten wir heute enorm hilfreiche technische Möglichkeiten zur Kontrolle und Eindämmung! Wie eben per App…
Aber spätestens an den „Datenschutz- / Grundrechts-“ Bedenken wird es wohl ganz sicher scheitern. Vermutlich werden diejenigen am lautesten dagegen anschreien, die jetzt auch auf den Shutdown schimpfen.
Da wären wir dann wieder beim fehlenden Gemeinsinn. Ich erinnere daran, wie vor einigen Jahren die Menschen in Südkorea auf eine große Wirtschaftskrise reagiert haben: Es gab den Aufruf, Schmuckstücke und gerne auch Eheringe an den Staat zu geben. Damit der Staat mit dem Gold dringend benötigte Devisen kaufen kann. Viele, viele Bürger haben da mitgemacht und natürlich haben sie auch ein wenig Geld für ihren Schmuck bekommen. Aber dennoch: In Deutschland wäre das unvorstellbar.
Wir sind weniger ein Volk von Sissis. Wir sind ein Volk von Egoisten.